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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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ihre
    Zähne, legte etwas Lippenstift auf, nahm ihre Tasche und verließ die Wohnung. Nebel draußen,
    nichts als Nebel. Dennoch war sie positiv gestimmt. Sie hatte das Gefühl, aus dem r iesigen, völlig verschlungenen Knäuel endlich
    den Anfang eines Fadens in den Händen zu halten. Dieser Umstand ließ das Knäuel noch nicht
    weniger verworren erscheinen. Aber es vermittelte die Hoffnung, irgendwann zu seiner Mitte
    vordringen zu können.
    »Ist Gwen jetzt da?«, fragte
    Jennifer. Sie trat, gefolgt von den beiden riesigen Hunden, die sie draußen notdürftig mit
    einem Handtuch gesäubert hatte, in den Flur. Colin kam gerade aus der Küche. »Nein. Meine Güte,
    ihr seid ja alle klatschnass!«
    »Der Nebel«, sagte Jennifer und
    schälte sich aus ihrer Jacke. »Man sieht nicht die Hand vor den Augen. Man läuft wie durch eine
    nasse Wand.«
    Er betrachtete sie zärtlich. Die
    wirren feuchten Haare, die geröteten Wangen. Den alten Pullover, an dem Hundehaare hingen, die
    Jeans mit den Schlammspritzern darauf Es kam ihm immer vor, als sei sie am echtesten, wenn sie
    von draußen kam, wenn sie irgendetwas mit ihren Hunden unternommen hatte. Dann war sie einfach
    Jennifer, in sich ruhend, entspannt, gelöst. Heiter auf eine unaufgeregte, selbstverständliche
    Art. Sie war ganz anders als früher, wenn sie aus der Schule kam, das hatte er ihr wieder und
    wieder vor Augen gehalten, wenn sie von ihren Depressionen gepackt wurde, wenn sie ihr Leben
    als ein einziges Scheitern wahrnahm.
    »Du warst
    doch nicht nur glücklich. Du warst ange spannt, nervös. Oft
    überfordert. Viel zu engagiert, viel zu dicht an allem und jedem dran. Du hast dich
    aufgerieben. Du hast ... « An dieser Stelle pflegte sie ihn natürlich stets zu unterbrechen.
    »Ach, und jetzt bin ich ein durch und durch glücklicher Mensch?«
    »Wahrscheinlich ist niemand
    je ein durch und durch glücklicher Mensch. Aber du verklärst dein Leben damals. Und weigerst
    dich, das Gute an deinem jetzigen Leben zu sehen.«
    »Es gibt ja auch nicht viel
    Gutes zu sehen, wenn man ein Versager ist.«
    »Du bist kein Versager ...
    «
    Es waren die klassischen
    Gespräch, die sich im Kreis drehten, in denen sich Jennifer schließlich immer weiter nach unten
    schraubte, bis auf den tiefsten Grund der Schwermut und des verzweifelten Gefühls der
    Unzulänglichkeit. Es war schwer, fast unmöglich, sie von dort wieder emporzuheben. Deshalb
    sprach er es jetzt auch nicht an, nicht in diesem Augenblick. Wie gut sie aussah, wie viel
    Harmonie mit sich selbst sie verströmte. Sie hätte es abgestritten. Als könne sie nicht
    akzeptieren, dass es ihr wenigstens gelegentlich - auch gut ging. Er hatte oft das Gefühl, dass
    sie ihre Depressionen als Strafe für ihr Scheitern begriff und dass sie an ihnen festhielt,
    sich förmlich in sie hinein grub, weil sie sie als zutiefst verdient und gerecht empfand. Sie
    durfte gar nicht zulassen, dass sie sich wohlfühlte, nicht nachdem sie auf ganzer Linie versagt
    hatte.
    »Frühstück ist fertig«, sagte er deshalb einfach nur. „Ich ziehe mich ganz schnell um
    und trockne meine Haare. Ich bin gleich da.« Colin trat ins Wohnzi mmer. Chad saß am Tisch, hatte aber seinen Teller
    beiseitegeschoben, rührte nur gedankenverloren in seiner Kaffeetasse. In den wenigen Tagen, die
    seit Fionas Tod vergangen waren, schien er erheblich gealtert zu sein. Colin musste an Fionas
    Aufzeichnungen denken. Chad und Fiona waren nie wirklich ein Paar geworden, aber es hatte seit
    ihrer Jugendzeit eine enge Bindung zwischen ihnen gegeben, die Jahre und Jahrzehnte überdauert
    und sie beide bis ins hohe Alter begleitet hatte. Beide hatten sie andere Partner geheiratet,
    eigene Familien gegründet, aber nie war das Band zwischen ihnen zerrissen. Chad hatte den
    vielleicht wichtigsten Menschen seines Lebens verloren, noch dazu auf erschütternde, nicht
    vorhersehbare Weise. Es war typisch für ihn, dass er zu niemandem darüber sprach, aber dass er
    litt, war ihm anzusehen.
    »Gwen ist immer noch
    nicht wieder da«, sagte Colin. Chad blickte auf
    »Sie wird bei ihrem
    Verlobten sein.« »Ist sie öfter über Nacht weg?«,
    fragte Colin.
    Jennifer hatte behauptet, Gwen habe noch niemals bei Dave übernachtet, und da Gwen ihr vieles
    anvertraute, mochte das stimmen. Chad wusste es nicht. »Keine Ahnung. Glaube nicht. Aber sie
    ist alt genug. Außerdem haben die beiden wahrscheinlich manches in Ordnung zu bringen - nach
    der Geschichte vom

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