Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
Vom Netzwerk:
Grund. Jedenfalls bin ich heute Vormittag zu Mrs.
    Krusinski hinübergegangen und habe sie gefragt, ob ich die nächste Nacht bei ihr schlafen darf,
    und so kamen wir ins Gespräch über Mr. Tanner, und ich erzählte, dass ich nicht genau weiß, ob
    er zur Tatzeit des Mordes an Fiona Barnes, also am späten Samstagabend, eigentlich daheim war,
    und plötzlich schaut sie mich an und sagt: Aber ich weiß, er war nicht daheim! Und erzählt ihre
    Geschichte!« Mrs. Willerton nahm einen tiefen Schluck Schnaps. »Ich werde nie wieder einen
    Untermieter aufnehmen, nie wieder, das kann ich Ihnen sagen! Ich habe ihm zum ersten November
    gekündigt, aber wenn Sie ihn heute nicht verhaften, dann fliegt er gleich raus, das schwöre
    ich! Keinen Tag mehr, keinen Tag länger lasse ich den in meinem Haus!«
    »Er ist jetzt nicht daheim, nehme ich an?«, wandte sich Valerie an Reek.
    Der schüttelte den Kopf. »Ich habe das überprüft, nein.« »Sie h ätten ja auch mal von selbst darauf kommen können, in der
    Nachbarschaft herumzufragen«, sagte Mrs. Willerton vorwurfsvoll. »Da muss ich erst kommen und
    den Fall aufklären!«
    Valerie hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, aber sie schluckte sie hinunter. Sie
    durfte nicht so dumm sein, sich mit der reichlich einfach gestrickten, geltungsbedürftigen und
    aggressiven Mrs. Willerton auf ein Streitgespräch einzulassen. Nicht an einem Punkt, an dem der
    Fehler tatsächlich auf ihrer Seite lag. Sie durfte die Angelegenheit nicht aufbauschen. Sie
    ging über die Bemerkung hinweg und sagte kühl zu Sergeant Reek: »Sie warten noch eine Weile
    hier, Sergeant. Am besten draußen im Auto. Wenn Tanner aufkreuzt, bringen Sie ihn zur
    Vernehmung mit aufs Revier.«
    »Okay, Inspector.«
    Sie wandte sich an Mrs. Krusinski. »Ich danke Ihnen für Ihre Aussage, Mrs. Krusinski.
    Möglicherweise muss ich das alles noch schriftlich zu Protokoll nehmen, aber ich rufe Sie
    vorher an. Mrs. Willerton!« Sie grüßte die Wirtin kühl, dann verließ sie hastig das Haus.
    Draußen blieb sie einen Moment aufatmend an die Hauswand gelehnt stehen. Ihr Gesicht glühte,
    und zum ersten Mal an diesem Tag empfand sie den Nebel als wohltuend.
    Das war ein glattes Versagen, dachte sie. Sie zwang sich, tief durchzuatmen. Alles wird
    gut.
    Der Nebel würde sich lichten an diesem Tag. Man konnte es schon merken. Noch war er da, eine
    Wand aus Watte, die alles schluckte, die jedes Geräusch fern und gedämpft erscheinen ließ. Aber
    hin und wieder drang ein schwacher Lichtstrahl hindurch, kurz nur und wie ein Irrtum und doch
    auch der Bote, der ankündigte, dass es irgendwo blauen Himmel gab und dass der Nebel nicht für
    immer in der Bucht und in der Stadt bleiben würde.
    Leslie und Dave hatten das Cafe verlassen und liefen nun die Uferpromenade entlang, den Marine
    Drive, einen breiten, befestigten Weg, der um die Burg herum hinüber zur Nordbucht
    führte.
    Linker Hand erhoben sich die zackigen Felsen des Berges, rechts wurde der Weg von einer hellen
    Steinmauer begrenzt. Große Betonblöcke schlossen sich als Wellenbrecher an.
    Dahinter lag das Meer, aber sie konnten es nur schwach erkennen. Noch war der Nebel zu
    stark.
    Sie hatten nur ein paar Schritte laufen wollen, aber die kalte Luft in ihren Lungen war
    köstlich gewesen, sogar die Nässe an ihren Wangen verführerisch. Sie liefen immer weiter, ohne
    einen Gedanken an ein Ziel oder gar an den Rückweg zu verschwenden.
    Er hatte sie gefragt, wie ihre Mutter gewesen war, und sie wunderte sich, weil sie frei und
    ohne Zögern antwortete.
    »Sie war immer fröhlich. Sie trug lange, bunte Gewänder, hatte Haare bis zur Taille, in die sie
    farbige Bänder flocht. Sie war eigentlich blond wie ich, aber sie färbte sich die Haare
    hennarot. Das Henna tönte auch ihre Handflächen. Ich kann mich an die Hände meiner Mutter nur
    in diesem seltsamen Orangeton erinnern.
    Ich glaube, sie war immer fröhlich, weil sie immer bekifft war. Sie reiste
    von einem Hippiefestival zum nächsten. Ich sehe Lagerfeuer vor mir, viele fremde Männer und
    Frauen, die alle gekleidet waren wie meine Mutter. Immerzu wurde Gitarre gespielt. Immerzu
    kreisten die Joints. Ich glaube, dass sie auch LSD probierten und was weiß ich noch alles.
    Meine Mutter tanzte mit mir. Um das Lagerfeuer herum, aber auch zu Hause in unserem Wohnzimmer.
    Sie liebte die Musik von Simon und Garfunkel. Sie hörte Bridge over
    troubled water bis zum Erbrechen.«
    An dieser Stelle hatte sie innegehalten

Weitere Kostenlose Bücher