Das andere Kind
und Pullover, dazu ihre
Turnschuhe.
»Ich war noch
wach«, bestätigte sie.
Er wirkte
erleichtert. »Ich hatte Angst, du machst nicht auf«, sagte er lächelnd. »Du solltest aber
wirklich durch die Sprechanlage nachfragen, wer da ist! Es ist halb ein Uhr nachts!«
Sie zuckte mit den
Schultern.
»Darf ich
reinkommen?«, fragte Dave.
Sie trat zur Seite,
und er trat in die Wohnung, stellte aufatmend seinen Koffer ab.
»Himmel, ist der
schwer«, sagte er. »Es ist fast alles drin, was ich besitze. Ich musste zu Fuß gehen, weil mein
Auto vorhin endgültig den Geist aufgegeben hat. Hör mal, Leslie, kann ich heute vielleicht hier
schlafen? Meine Wirtin hat mich rausgeworfen.«
Leslie versuchte
durch ihr vom Alkohol umnebeltes Gehirn seinen Worten zu folgen und den Sinn dahinter zu
erfassen. »Dich rausgeworfen?«, fragte sie schwerfällig. »Darf sie das so einfach?«
»Keine Ahnung. Aber sie war komplett hysterisch. Schrie nach der Polizei, tobte ... Es
hatte einfach keinen Sinn zu bleiben. Ich habe versucht, eine alte Freundin zu erreichen, aber
ihr Handy ist abgeschaltet. Sie jobbt in einer Bar am Hafen, dort habe ich von zehn Uhr bis kurz vor Mitter nacht auf sie
gewartet, aber sie kam nicht. Dann bin ich hier hochgelaufen, in der Hoffnung, dass du da bist
und mir Asyl gewährst. Ehrlich, Leslie, ich schaffe es keinen Schritt weiter.« Er hielt inne
und starrte sie an. »Ist alles in Ordnung?«
Sie konnte
nicht verhindern, dass ihre Tränen wieder liefen. »Ja. Das heißt, nein. Es geht um Fiona. Es
ist ... « - sie wischte sich über die Augen -, »es wird dauern, bis ich alles verarbeitet
habe.«
Vorsichtig
nahm er ihr die Flasche aus der Hand und stellte sie auf einen Stuhl im Flur.
»Du hast eine
unheimliche Fahne, Leslie. Hör besser auf. Du möchtest sonst morgen früh sterben.« »Vielleicht
wäre mir das ganz recht.«
Er schüttelte
den Kopf »Nein.«
Trotzig wie
ein kleines Kind entgegnete sie: »Doch!«
Er fasste sie
an beiden Schultern, schob sie vor sich her in die Küche, zwang sie mit sanftem, aber
unnachgiebigem Druck auf einen Stuhl. »Ich mach dir jetzt einen schönen heißen Tee. Mit Honig.
Hast du hier Honig?«
Sie war zu
erledigt, um sich gegen seine Fürsorge zu wehren, vielleicht, dachte sie, will ich es auch gar
nicht. »Ja. Irgendwo ist Honig. Keine Ahnung, wo.« »Okay. Ich finde mich schon
zurecht.«
Mit leeren Augen sah sie ihm zu, wie er sich durch die Küche bewegte, Wasser aufsetzte, zwei Becher vom Bord nahm, ein
paar Schranktüren öffnete, bis er das Fach mit den verschiedenen Teesorten entdeckt hatte. Ein
Glas mit Honig fand er auf einem Regal über dem Herd. Leslie beobachtete, wie er die
goldfarbene Flüssigkeit in die Becher laufen ließ. Das Wasser kochte. Dave goss den Tee auf,
stellte die beiden Becher auf den Tisch, setzte sich Leslie gegenüber. »Was ist los?« Sie
schüttelte den Kopf, nahm vorsichtig den ersten Schluck. Ihr war übel vom Whisky. Zu viel, zu schnell, auf leeren Magen. Sie sprang auf, rannte ins Bad,
erreichte im letzten Moment die Toilette.
Würgend
und hustend erbrach sie sich. Nicht viel mehr als stinkende Galle. Dave, der ihr gefolgt war,
strich ihr die Haare aus dem Gesicht, legte seine Hand in ihren schweißnassen Nacken. »So ist
es gut«, sagte er, »gut, wenn alles rauskommt.« Sie richtete sich auf, wankte zum Waschbecken,
ließ kaltes Wasser in ihre Hände laufen und spülte sich den Mund aus.
»Tut
mir leid«, murmelte sie schließlich. Sie betrachtete das kalkweiße Gesicht, das ihr aus dem
Spiegel entgegensah. Wirre Haare, verschmierte Farbe um die Augen. Zitternde Lippen. »Wann hast
du zuletzt etwas gegessen?«, fragte Dave. Sie versuchte sich zu erinnern. Alles, die ganzen
letzten Tage, war so weit weg. »Das Frühstück mit dir«, sagte sie. »Am Hafen. Gestern.« »Einmal
von einem Scone abgebissen, wenn ich mich richtig erinnere. Na, prächtig!« Er schüttelte den
Kopf. »Was ist denn los, Leslie? Warum sitzt du mitten in der Nacht in deiner Wohnung und
schüttest Whisky in dich hinein ohne Sinn und Verstand? Wo ist dein geschiedener
Mann?«
»Stephen ist ins Hotel gezogen. Er hat nur
einen Brief hinterlassen.« Er musterte sie aufmerksam. »Hat dich das so
erschüttert?«
»Unsinn!« Sie war sich bewusst, dass sie fast
zu heftig reagierte. Hatte sie sich aufgeregt über Stephens stillen Abgang? Hatte der etwas von
dem Schmerz aufgewühlt, der in ihr nagte, seit er
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