Das andere Kind
selbstständige Frau. Eine, die in der Lage ist, ihren Weg zu gehen.«
»Dich
hat sie trotzdem erobert.« Er schwieg einen Moment.
»Du
weißt, wie diese Situation entstanden ist«, sagte er schließlich.
»Es
kann nicht funktionieren, Dave.«
»Ich
weiß«, sagte er leise.
Sie
beugte sich zu ihm. »Ich hänge nicht an Vergangenem, Dave.«
»Und ob
du das tust, Leslie. Bloß auf eine ganz andere Art als Gwen. Du lässt dich beherrschen von
deiner Vergangenheit. Du grübelst, wer dein Vater war. Du kämpfst innere Kämpfe bis heute mit
deiner Mutter, um ihr in deiner Einschätzung gerecht zu werden. Du haderst mit deiner
Großmutter, zerrissen zwischen dem Gefühl, ihr Dankbarkeit zu schulden, und der Wut, die immer
heftiger in dein Bewusstsein drängt, wenn du an deine Jugend bei ihr denkst. Du hast deinen
Mann zum Teufel gejagt, nachdem er dich betrogen hat, aber du denkst ständig über ihn nach,
analysierst ihn, analysierst dich, fragst dich, wie es dazu hat kommen können. Du bist nicht
frei, Leslie. Frei für ein neues Leben.«
Sie
merkte, dass ihr schon wieder die Tränen kamen, kämpfte verbissen dagegen an. »Wie soll ich das
denn sein? Ich kann doch nicht so tun, als habe es meine Vergangenheit nicht
gegeben!«
»Aber du kannst sie
endlich so stehen lassen, wie sie ist. Sie ist nicht veränderbar, also akzeptiere sie.
Akzeptiere dich und deine Gefühle. Du wirst nie wissen, wer dein Vater war. Du wirst damit
leben müssen, dass deine Mutter abwechselnd ein Engel und eine total verantwortungslose Person
war. Du darfst deiner Großmutter sowohl dankbar sein für ihre Unterstützung, als auch eine
Riesenwut auf sie haben, weil sie ein harter Knochen war und sich wenig Mühe gegeben hat, in
die Seele des kleinen Mädchens zu blicken, das ihr plötzlich anvertraut war. Und, zum Teufel,
lass diesen Stephen los! Er hat dich betrogen. Kannst du so einen Mann brauchen? Und denkst du, ein einmaliger Sei tensprung hätte
dich veranlasst, ihn hinauszuwerfen, wenn sonst alles zwischen euch gestimmt hätte? Eine gute
Beziehung übersteht eine derartige Geschichte. Aber es gibt Beziehungen, da ist ein solcher
One- Night-Stand dann der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Ich vermute, dass das
bei euch so war.«
Sie lächelte mühsam und mit
schwimmenden Augen. »Ausgerechnet du gibst dich als Experte für Beziehungen? Als Ratgeber für
das Leben?«
Er blieb ernst. »Ich bin der totale
Versager, in jeder Hinsicht. Sowohl was Beziehungen angeht als auch das Leben insgesamt. Aber
jemand, der mit sich selbst nicht zurechtkommt, kann trotzdem einen klaren Blick haben, was
andere angeht. Das schließt sich nicht aus.«
In kleinen, langsamen Schlucken trank
sie ihren Tee. Die Wärme tat ihr gut, der Honig beruhigte ihren Magen. Sie dachte, wie gut es
war, dass Dave mitten in der Nacht bei ihr aufgekreuzt war. Sie war in einer inneren Verfassung
gewesen, in der sie sich womöglich in die Besinnungslosigkeit getrunken hätte. Sie war dankbar,
nicht allein sein zu müssen. Es war der richtige Moment, dachte sie, langsam klarer, ruhiger
und gefasster. Sie hob den Kopf, begegnete seinem Blick.
Sie hielt dem stand, was sie in seinem
Blick erkannte. Sie wich nicht aus, als Dave aufstand und um den Tisch kam, ihre beiden Hände
ergriff und sie langsam auf die Füße zog. Sie gab seiner Umarmung nach, weil sie tröstlich war
und sanft. Weil sie das war, was sie brauchte in diesem Moment: Sie wollte sich anlehnen,
wollte beschützt werden, nur für diese Nacht, wollte den Herzschlag eines anderen Menschen
spüren, wollte Fiona vergessen können und alles, was sie über sie erfahren hatte.
Seine Lippen glitten über ihre Stirn.
Sie hob den Kopf, und ihr Mund traf auf seinen. Sie küsste ihn in einer Mischung aus
Verzweiflung und Wut, und er erwiderte ihren Kuss weich und sehr zärtlich. Es war unmöglich,
was sie tat, völlig daneben, sicher falsch, vielleicht fatal. Er war mit einer anderen Frau
verlobt, er war Verdächtiger in einem Mordfall. Aber sie hatte sich so lange schon nicht mehr
fallen lassen dürfen. Und sie mochte ihn. Er war vollkommen anders als Stephen. Er war ein
Mann, den ihre Großmutter nie für sie akzeptiert hätte. Er erschien ihr undurchsichtig und
fremd auf der einen Seite, unberechenbar vielleicht und vollkommen anders als alle Männer, die
sie je gekannt hatte. Aber gleichzeitig, so widersprüchlich sich das für sie selbst anfühlte,
auch
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