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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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einwilligte, weil sie ihm die Pistole auf die Brust setzte. Wäre es
    nur um sie und ihre harte Forderung gegangen, er hätte zu verhandeln versucht. Seinen Charme
    eingesetzt, seine Überzeugungskünste spielen lassen. Er hätte gekämpft. Aber sie konnte sehen,
    dass er des Kämpfens müde war. Dass er die Sinnlosigkeit des Weges, den er eingeschlagen hatte,
    einsah. Dass er bereit war, sich aus der Schlacht zurückzuziehen, weil sie so oder so nicht
    mehr zu gewinnen war. »Ich kann dich nach Staintondale fahren«, bot Leslie an. »Das wäre nett.
    Ich lasse meinen Koffer vorläufig hier und werde später ... «
    »Ich habe dir heute Nacht schon gesagt, du kannst dir Zeit lassen wegen einer neuen
    Unterkunft. Wirklich, diese Wohnung ist riesig. Es ist kein Problem,
    wenn du ein paar Tage hier wohnst. Du bekommst einen Zweitschlüssel
    und kannst kommen und gehen, wie du möchtest.«
    Er
    wirkte sehr erleichtert. »Danke, Leslie. Trinken wir trotzdem vorher noch einen Kaffee und
    essen ein paar Toastbrote? Ich glaube nicht, dass ich Gwen mit nüchternem Magen gegenübertreten
    kann.«
    »Natürlich. Ich brauche auch einen
    Kaffee.«
    Sie
    frühstückten in der Küche. Dave, dem der bevorstehende schwere Gang zumindest nicht den Appetit
    zu verderben schien, briet sich Eier zum Toast und kippte ausgiebig Ketchup darüber. Leslie,
    die außer zwei Tassen schwarzen Kaffees nichts herunterbrachte, sah schaudernd zu. Sie rauchte
    hastig drei Zigaretten hintereinander, was erstaunlicherweise ihre Übelkeit ein wenig milderte,
    und wappnete sich gegen Daves unvermeidlichen Kommentar.
    »Du
    isst zu wenig«, sagte er prompt, »und rauchst und trinkst zu viel«
    Das
    hatte sie schon so oft gehört. »Tu ich schon immer. Mir geht's trotzdem gut.«
    Er
    betrachtete sie nachdenklich, zweifelnd.
    »Was
    beschäftigt dich heute früh so sehr?«, fragte er. »Ich glaube irgendwie nicht, dass es nur mit
    Gwen und mir zu tun hat.«
    Kurz
    entschlossen fragte sie: »Kennst du eine Semira Newton?«
    »Nein.
    Wer ist das?«
    »Ich
    weiß nicht. Ich frage dich ja.«
    »Semira
    Newton ... « Er überlegte. »Woher hast du den Namen?«
    »Es geht da um eine ...
    Episode aus dem Leben meiner Großmutter«, sagte Les lie ausweichend,
    »ich kann das vorläufig nicht näher erklären. Sagt dir der Name
    Brian Somerville etwas?«
    »Nein.« Leslie drückte ihre Zigarette
    aus und stand auf. »Lass uns aufbrechen. Je eher du mit Gwen redest, umso besser.« Auch Dave
    erhob sich. »Machen wir doch noch einen Spaziergang am Strand vorher«, bat er.
    Sie willigte ein. »Auf ein oder zwei
    Stunden kommt es wohl nicht an.«
    Er lächelte erleichtert.
    Sergeant Reek hatte den Eindruck, dass
    sein Job in den letzten Tagen vorwiegend darin bestand, in seinem Auto vor irgendwelchen
    Häusern zu sitzen und auf Leute zu warten, die sich enorm viel Zeit damit ließen, daheim
    aufzukreuzen. Er fand diese Tätigkeit außerordentlich langweilig, ertrug sie jedoch in der
    ergebenen Gewissheit, dass sie nun einmal gemacht werden musste. Zudem tröstete ihn der
    Gedanke, dass seine berufliche Zukunft ganz andere Schwerpunkte für ihn bereithielt. Irgendwann
    kam die nächste Beförderung. Irgendwann würde er selbst Untergebene abstellen, derart hirnlose
    Aufgaben zu übernehmen. Das Lob seiner Chefin vom frühen Morgen hatte ihn in der Hoffnung
    bestärkt, dass es mit der nächsten Stufe auf der Karriereleiter nicht mehr ewig dauern
    konnte.
    »Sie machen Ihren Job wirklich gut«,
    hatte sie gesagt.
    So etwas baute auf.
    Die Filey Road war dicht befahren und
    laut wie immer, und Schüler und Studenten wälzten sich in Scharen über die Gehsteige. Manche
    trugen schon Mützen und Schals. Die Luft war kühl am Morgen. Wenigstens regnete es nicht mehr,
    aber der Herbst kam jetzt mit aller Macht. Die erste Oktoberwoche hatte noch fast etwas
    Spätsommerliches gehabt. Inzwischen hatte sich alles verändert, jetzt konnte man sogar schon
    über Weihnachten nachdenken.
    Weihnachten! Am 16. Oktober! Reek
    schüttelte über sich selbst den Kopf. In der Fußgängerzone hingen allerdings schon die
    obligatorischen Girlanden mit Sternen über der Straße. Vielleicht nicht so dumm, sich darauf
    einzulassen und bereits jetzt mit dem Besorgen der Geschenke zu beginnen. Dann wurde es im
    Dezember nicht wieder so knapp. Reek hetzte meist am Nachmittag des 24. Dezember durch die
    Läden und schwor sich jedes Mal entnervt, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Nur um sich
    im

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