Das andere Kind
älter und ziemlich unscheinbar sein
soll«, sagte Karen.
Reek musterte sie
unauffällig. Obwohl sie sichtlich eine schwere Zeit hinter sich hatte, abgekämpft und müde
wirkte, war sie doch eine sehr schöne junge Frau. Genau der Typ, den man sich neben Dave Tanner
vorstellen konnte. Anders als die arme Gwen.
»Warum ist es denn
überhaupt wichtig, was Dave am letzten Samstag gemacht hat?«, fragte Karen, der jetzt erst
aufzugehen schien, dass sie zu einem Sachverhalt befragt wurde, den sie gar nicht
kannte.
Reek fand es
ausgesprochen unangenehm, der Überbringer schlechter Nachrichten zu sein.
»Es ist ... nun, es
hat am vergangenen Samstagabend eine ... Feier auf der Farm gegeben, auf der Miss Beckett lebt.
Auch Mr. Tanner war zugegen.« Das Wort Verlobung auszusprechen, brachte Reek nicht übers Herz.
„Es kam zu einem Streit zwischen ihm und einem der Gäste. Mrs. Fiona Barnes. Die Feier endete
deswegen abrupt.«
Karen runzelte die
Stirn. »Fiona Barnes? Das ist doch die alte Dame, die man ermordet draußen in Staintondale
gefunden hat. Ich habe es in der Zeitung gelesen.«
»Richtig«, sagte
Reek.
An ihrem
Gesichtsausdruck konnte er verfolgen, wie sich das Begreifen in ihr ausbreitete.
»Oh«, meinte sie,
»und weil Dave Streit mit ihr hatte ... « »Wir überprüfen jeden der Gäste«, sagte Reek rasch.
Karen lehnte sich zurück. Sie hatte sehr ausdrucksvolle Züge, und man sah ihr an, dass sie hin-
und hergerissen war. »Bitte, Miss Ward. Eine einfache Antwort auf eine einfache Frage. War Dave
Tanner bis sechs Uhr morgens bei Ihnen? Bitte sagen Sie die Wahrheit.«
»Die Wahrheit!«, sagte Karen heftig. Sie stand plötzlich auf, wischte sich mit den
geballten Fäusten über die Wangen, auf denen ein paar Tränen glänzten. »Die Wahrheit ist, dass
ich alles für ihn getan hätte. Alles! Ich
habe ihn so sehr geliebt. Er hat kein Geld, er hat keine Zukunft, er hat keinen richtigen
Beruf, er haust in diesem fürchterlichen Untermietzimmer, aber das war mir alles egal! Völlig
egal. Wenn ich nur bei ihm sein konnte. Mit ihm reden, mit ihm lachen, mit ihm spazieren gehen.
Mit ihm schlafen. Mein ganzes Leben wollte ich mit ihm verbringen. Ich habe manchmal das
Gefühl, ich sterbe daran, dass er mich verlassen hat. Ich gehe kaputt
darüber!«
Auch Reek erhob
sich, peinlich berührt von ihrem Ausbruch. »Miss Ward, ich denke, Sie ... «
» Wissen Sie, dass er mich und meine Gefühle immer weiter
ausgenutzt hat? Ich steige bis heute nicht ganz dahinter, aber irgendetwas kann mit dieser ...
dieser Gwendolyn nicht so fabelhaft laufen. Er brauchte mich jedenfalls immer wieder
zwischendurch. Zum Reden. Zum Ausgehen. Zum Herumalbern. Und für Sex. Und ich war so blöd und habe mich darauf eingelassen,
wann immer er mit den Fingern schnippte. Nur um danach wieder allein hier zu sitzen und zu
warten und tagelang nichts von ihm zu hören. Wissen Sie, dass ich anfing, über Selbstmord
nachzudenken?«
Reek
wusste, dass er sie mit seinen Worten in diesem Moment nicht erreichte, trotzdem sprach er sie
aus, weil sie wahr waren. »Sie sind noch so jung. Es kommt ein anderer. Mit
Sicherheit.«
Sie
antwortete, was zu erwarten gewesen war. »Ich will keinen anderen.«
»Aber«,
entgegnete Reek vorsichtig, »ihn offenbar auch nicht mehr? Denn Sie nehmen seine Anrufe nicht
an.« Sie ließ die Arme sinken. Ihre noch immer zu Fäusten geballten Hände entkrampften
sich.
»Ich will
nicht an dieser Sache verzweifeln«, sagte sie. Plötzlich klang sie sehr müde. »Ich will ihn
loswerden. Ich will ihn vergessen.«
»Er hat
Sie am Samstag im Newcastle Packet abgeholt und ist mit Ihnen ins Golden Ball gegangen«, kam
Reek, betont sachlich, auf sein eigentliches Anliegen zurück. »Das haben wir überprüft. Am
Samstag schienen Sie also noch gesprächsbereit?«
»Eigentlich
nicht. Ich hatte beschlossen, jeden Kontakt zu ihm abzubrechen, um nicht meine Gesundheit und
meine Selbstachtung über dieser ganzen Geschichte einzubüßen. Oder vielleicht sollte ich die
Reihenfolge anders wählen: meine Selbstachtung und meine Gesundheit. Ja, meine Selbstachtung
war am allermeisten angeschlagen ... sie ist es noch ... «
Sie
starrte aus dem Fenster. Reek dachte, dass sie tatsächlich fast durchsichtig blass
war.
»Aber Sie
gingen mit ihm ins Golden Ball?«
»Ich ließ
mich breitschlagen. Aber ich wusste, dass es falsch war. Dort merkte ich auch schnell, worum es
ging. Er war
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