Das andere Kind
nicht für richtig gehalten, unsere
Geschichte für mich zu behalten.
Vielleicht
steckt auch eine gewisse Sehnsucht nach Gerechtigkeit dahinter, wenn ich dir diese vielen
Kapitel schicke. Es war nicht leicht, Chad, mich der Wahrheit zu stellen, und womöglich finde
ich es einfach nur fair, wenn du es auch tun musst. Wobei ich dich natürlich nicht zwingen
kann, das alles zu lesen. Vielleicht drückst du einfach die Löschtaste, kaum dass du begriffen
hast, worum es hier geht.
Vielleicht
schützt du dich und tust dir das alles nicht an, und auch das könnte ich verstehen.
Aber: Ich
wollte mein Leben mit dir teilen. Auf die eine oder wenigstens die andere Art.
Fiona
Freitag, 17. OKTOBER
Leslie fragte sich, weshalb ihr. so übel war. Am
Whisky konnte es nicht liegen, oder doch? Gründlicher konnte man doch kaum erbrechen, als sie
es in der Nacht getan hatte. Vielleicht hatte sie zu wenig geschlafen, zwei Stunden höchstens.
Und zu viel gelesen, das sie belastete. Die Dinge schienen nicht klarer zu werden, sondern sich
im Gegenteil immer mehr im Nebulösen zu verlieren.
Was war aus Brian Somerville geworden? Und wer
war Semira Newton?
Sie verließ ihr Schlafzimmer. Es wurde langsam
hell draußen, zwischen den dunklen Wolkenbänken über dem Meer schimmerte ein leuchtend roter
Streifen. Die Sonne ging auf, aber Leslie bezweifelte, dass sie sich zeigen würde. Es würde
wieder ein grauer Herbsttag werden.
Sie ging ins Wohnzimmer, wo sie zu ihrer
Überraschung Dave antraf, der bereits angezogen war und gerade den Telefonhörer von der Gabel
nahm. Er zuckte zusammen und legte den Hörer zurück; offenbar war es ihm nicht ganz recht, beim
Telefonieren überrascht zu werden.
»Du bist schon wach«, stellte er fest.
»Du auch«, entgegnete Leslie.
»Ich habe nicht allzu gut geschlafen«, gab Dave
zu, »ich habe gegrübelt ... « Er führte nicht aus, worüber er gegrübelt hatte, aber Leslie fand
das nicht schwer zu erraten. »Du weißt nicht recht, wie dein Leben weitergehen soll.« Er
lächelte unglücklich. »Das ist untertrieben. Ich stecke in einer Sackgasse und habe das Gefühl,
vorwärts und rückwärts keinen Weg mehr zu finden. Verfahren, völlig verfahren.«
Sie wies auf das Telefon. »Wolltest du mit Gwen
telefonieren?« »Nein. Ich wollte eine alte Freundin anrufen, aber ... ist nicht so
wichtig.«
»Ach so.« Er musterte sie nachdenklich. »Du
siehst müde aus, Leslie. Ich schätze, du hast auch nicht allzu gut geschlafen.« »Zu wenig
jedenfalls.« Sie mochte ihm nichts von den Aufzeichnungen ihrer Großmutter erzählen, und damit
nichts von ihren viele Lesestunden.
Sie schab die Gedanken an Brian Somerville und
Semira Newton, wer immer das auch sein mochte, beiseite und versuchte, sich auf Dave zu
konzentrieren.
»Wieso hat die Polizei an
deiner Aussage wegen Samstag gezweifelt?«, fragte sie. Sie war zu betrunken und zu elend
gewesen heute Nacht, um das Problem zu vertiefen, aber später, als sie im Bett lag, war ihr
diese Frage wieder und wieder durch den Kopf gegangen. Er hatte von Ungereimtheiten gesprochen und das Thema dann schnell
beiseite geschoben.
An seinem Mienenspiel konnte sie genau
verfolgen, dass er blitzschnell überlegte, was und wie viel er ihr sagen wollte, und dass er
schließlich in einer Art von erleichternder Resignation beschloss, ihr zu sagen, was bei
Detective Inspector Almond los gewesen war.
»Eine Nachbarin hatte mich gesehen, als ich
am Samstagabend noch einmal das Haus verließ«, sagte er, »nachdem ich behauptet hatte, ich sei
nicht noch einmal weg gewesen. Sie hat das der Polizei erzählt«
»Und stimmt es? Bist du noch einmal weg
gewesen?« »Ja.«
Erstaunt sah sie ihn an. »Aber warum ...
und wohin bist du ... ?«
Er erkannte Misstrauen und Furcht in ihrem
Blick und hob beschwichtigend die Hände. »Ich habe deine Großmutter nicht umgebracht, Leslie,
ehrlich, glaube mir das doch endlich. Aber ich war eben noch mal weg, und ich wollte nicht
darüber sprechen.« Sie ahnte, was kam. »Du warst bei einer anderen Frau?« Er hatte die ganze
Zeit mitten im Zimmer gestanden, nun ließ er sich in einen der Sessel plumpsen, streckte beide
Beine von sich, als sei er bereit, auf der ganzen Linie zu kapitulieren. »Ja.«
»Die ganze Nacht?«
»J a.«
»Dave ... «
»Ich weiß. Ich
bin ein Scheusal, ich habe mich unmöglich verhalten, ich habe Gwen belogen und betrogen
... ich weiß!«
»Wer ist diese
Weitere Kostenlose Bücher