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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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den Eindruck, dass sie im Moment alles versprechen würde, was er hören wollte, wenn er
    sich dafür nur bereit erklärte, sofort mit ihr zusammen die Beckett-Farm zu verlassen. Er
    streckte die Hände aus, nahm ihre in seine. »Was ist geschehen, Jennifer? Warum dieser
    überstürzte Aufbruch? Ist es ... wegen gestern? Du hast etwas sehr Erschütterndes erlebt. Es
    wäre kein Wunder, wenn du verstört wärest. Vielleicht sollten wir noch einmal reden. Über den
    Tag, über diesen Mann, über deine Angst. Darüber, dass du die ganze Zeit über stark sein
    musstest, dass du diese andere Frau stützen musstest und vielleicht selbst jemanden gebraucht
    hättest, der dich stützt.«
    »Es ist nicht allein die Geschichte um Stan Gibson, die mich verfolgt«, sagte sie. »Es ist ...
    das alles. Die Farm. Gwen. Dave Tanner. Die Polizei. Alles hier ist grau auf dieser Farm, ist
    dir das schon einmal aufgefallen? Leblos. Chad Beckett ist leblos. Gwens Leben ist überhaupt
    kein Leben. Tanner ist ein Parasit, keineswegs eine Lichtgestalt. Kannst du dir das vorstellen,
    die drei hier zusammen, Chad, Gwen und Tanner? Und nicht einmal mehr Fiona, die gelegentlich
    mit scharfer Zunge dazwischenfährt.«
    Er glaubte nicht recht zu hören. »Alles grau auf dieser Farm?
    Leblos? Du wolltest immer hierher,
    Jennifer, du hast an alldem gehangen. An
    der Landschaft, dem Meer, dem Haus, an Gwen. Ich hatte das Gefühl ... die Beckett-Farm war dein
    Ein und Alles. Und jetzt ... sagst du mir so etwas?«
    »Ja«, erwiderte sie, »jetzt sage ich dir so etwas.« Sie stand auf. Sie strahlte eine seltsame
    Mischung aus Traurigkeit und aufkeimender Entschlossenheit aus.
    »Wir ändern uns, Colin. Wir alle. Ich habe mich verändert in den letzten Tagen.«
    Er erhob sich ebenfalls. »In welcher Hinsicht?«
    »Das ist schwer zu beschreiben. Ich weiß auch nicht genau, wann es angefangen hat. Vielleicht
    in dem Moment, als die Almond diese alte Geschichte auskramte und mir unter die Nase hielt. Als
    ich mich schon wieder wegen dieser Sache in die Enge getrieben fühlte. Aber begriffen habe ich
    es gestern. Als ich Ena Wittys Angst vor Stan Gibson miterlebte. Ihr Zögern. Ihr Zaudern. Soll
    sie sich trennen? Soll sie bleiben? Hat er etwas mit Amy Mills zu tun? Bildet sie sich sein
    seltsames Verhalten im Alltag nur ein? Hin und her, und alles was sie dabei ausstrahlte, war
    Unsicherheit, Schwäche, Unentschlossenheit, Mutlosigkeit. Ich habe den ganzen gestrigen
    Nachmittag mit ihr verbracht. Den Abend. Die Nacht. Den heutigen Vormittag. Und irgendwann
    wollte ich nur noch weg. Fliehen. Ich konnte sie nicht mehr ertragen!«
    »Diese arme Frau? Die konntest du nicht mehr ertragen?«
    »Sie hat mich so wütend gemacht! So schrecklich wütend. Ihre Unterwürfigkeit. Ihre Angst. Ihr
    Gejammere. Alles, was sie aus den Wochen mit Gibson erzählte. Wie konnte sie sich ihm so
    unterordnen? Wie konnte sie sich so schwach machen und ihn so stark sein lassen? Es war
    widerlich, das alles zu hören. Ich hätte platzen können vor Aggressivität. Ich könnte jetzt
    noch platzen!«
    »Ich verstehe«, sagte Colin besänftigend, obwohl er nicht wirklich begriff, was sie ihm sagen
    wollte.
    Sie sah ihn mit einem Ausdruck an, der fast etwas Verächtliches hatte. »Ich glaube nicht, dass
    du mich verstehst, Colin. Ich habe selbst Zeit gebraucht, es zu verstehen. Denn siehst du,
    eigentlich hatte ich die Wut nicht auf sie. Sondern auf mich.«
    »Auf dich?«
    »Ich sah diese grässliche Ena Witty vor mir, und dann musste ich an Amy Mills denken - an das,
    was man durch die Presse von ihr weiß. Sie muss genauso ein Typ gewesen sein. Ein Opfer. Stan
    Gibson findet Gefallen an solchen Frauen. Solchen, die kuschen. Die ihn zum Herrn und Gebieter
    machen. Und das Schlimme ist: Er findet sie. Es gibt sie. Gar nicht so selten.«
    »Leider offenbar, ja. Aber du ... «
    Jetzt wich sie seinem Blick aus. Fixierte irgendeinen unsichtbaren Punkt an der
    gegenüberliegenden Wand. »Ich bin auch so. Ich hätte es auch sein können. Ein Opfer. Das Opfer
    eines solchen Menschen.«
    Er war perplex. »Aber nein, du bist nicht so! Du hast deine Probleme, aber als einen völlig
    verschüchterten, unterwürfigen Menschen würde ich dich keinesfalls bezeichnen.«
    »Mein Fall liegt anders als der von Eny Witty. Oder der von Amy Mills. Aber ich werde von
    Selbstzweifeln zerfressen, Colin, das weißt du, und es tritt nur deshalb nicht allzu sehr
    zutage, weil ich mich vom normalen Leben fast

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