Das andere Kind
es. Dieser angestrebten Heirat lagen andere Motive
zugrunde, dennoch war Tanner zweifellos entschlossen, das Beste daraus zu machen. Kein übler
Typ, urteilte Colin in Gedanken.
Fiona Barnes sah das mit
Sicherheit anders.
Colins
Blick glitt zu Jennifer, seiner Frau. Sie saß am äußersten Tischende, so dass sie ihre beiden
Hunde im Blick hatte, die auf ihren Decken gleich neben der Zimmertür lagen und schliefen. Cal
schnarchte leise, während Wotan im Traum wild mit den Hinterläufen zuckte. Gelegentlich
schrammten seine Krallen über den Steinfußboden. Jennifer wirkte ... zufrieden. Ein Umstand,
den Colin als bemerkenswert registrierte, denn es war selten so, dass er sie als wirklich
zufrieden hätte bezeichnen können. Sie litt unter einem ausgeprägten Helfersyndrom, kämpfte
gegen ihre Depressionen, war beruflich völlig aus dem Tritt geraten und kam über das, was sie
beharrlich ihr Scheitern nannte, nicht
hinweg. Daneben aber war sie ein gutherziger, anteilnehmender Mensch, der Eigenschaften wie
Neid oder Gehässigkeit überhaupt nicht zu kennen schien.
Vom ersten Tag auf der
Farm an hatte sie sich für Gwens Wohlergehen verantwortlich gefühlt. Sie war nicht frei von
Misstrauen, was Dave Tanner anging, schien aber entschlossen, sich über jede Anwandlung von
Furcht hinwegzusetzen. Jennifer war augenscheinlich zu dem Schluss gekommen, dass man Gwen in
dieser Phase nicht verletzen oder entmutigen durfte, ganz gleich, was später aus alldem werden
würde. Vermutlich wünschte sie Fiona Barnes insgeheim zum Teufel.
Nachdem Jennifer den
Nachtisch serviert hatte - Zitroneneis mit selbstgebackenen Ingwerplätzchen -, wandte sich
Fiona unvermittelt an Dave Tanner, und die Art, wie sie auf ihn losschoss, vermittelte den
Eindruck, dass sie den ganzen Abend über auf diesen Moment gewartet hatte.
»Gehen Sie eigentlich
auch noch irgendeiner richtigen Tätigkeit nach?«, fragte sie. »Ich meine, außer diesen paar
Abenden in der Woche, an denen Sie Hausfrauen aus Scarborough Französisch und Spanisch
beizubringen versuchen?«
Gwen wurde erst blass,
dann rot. Hilfesuchend schaute sie zu Jennifer hin, die in ihrer Bewegung - sie wollte gerade
einen Löffel mit Eis zum Mund führen - abrupt innehielt. Colin sah, wie Leslie Cramer kurz die
Augen schloss.
Manchmal ist ihr ihre
Großmutter richtig peinlich, dachte er fast belustigt.
»Im Augenblick«, sagte
Dave, »stellen die Kurse meine einzige Tätigkeit dar.«
Fiona gab sich
verwundert, obwohl sie die Antwort natürlich zuvor gekannt hatte.
»Und das füllt einen Mann
in den besten Jahren aus? Sie sind dreiundvierzig, nicht? Sie wollen heiraten, Sie wol- len
eine Familie gründen. Vielleicht werden Sie und Gwen Kinder haben. Was werden Sie diesen
Kindern über Ihren Beruf sagen? Dass Sie Sprachkurse abhalten, und das gerade einmal an ... wie
vielen Abenden in der Woche?«
»An drei Abenden nur zur
Zeit«, sagte Dave. Er blieb höflich, wirkte aber angespannt. »Ich würde gern öfter
unterrichten«, fuhr er fort, »aber leider reicht die Nachfrage nicht, um weitere Kurse auf die
Beine zu stellen. Zumal wir dort eine zweite Lehrerin haben, Linda Gardner, die ebenfalls
Französisch ... «
Gwen sah den Moment
gekommen, einen Themenwechsel zu versuchen.
»Linda Gardner hat einen
gewissen Prominentenstatus in Scarborough erlangt«, unterbrach sie ihren Verlobten hastig,
»einen traurigen, leider. Sie war die Frau, deren kleine Tochter Amy Mills an dem Abend hütete,
an dem sie später ermordet wurde.«
Leslie sprang ihrer
Freundin sofort bei. »Ihr hattet einen Mordfall hier in Scarborough?«
Ehe Gwen etwas darauf
erwidern konnte, mischte sich Fiona erneut ein. »Im Augenblick«, sagte sie, mit unüberhörbarer
Schärfe in der Stimme, »interessiere ich mich weit mehr für Mr. Tanner als für die
bedauernswerte Amy Mills. Chad« - sie wandte sich an den alten Mann, der so misstrauisch sein
Zitroneneis anstarrte, als wittere er darin irgendeine Bedrohung -, »Chad, ich stelle hier
Fragen, die eigentlich du stellen solltest. Hast du dich je ausführlich mit deinem künftigen
Schwiegersohn unterhalten?«
Chad blickte auf »Worüber
denn?«
»Nun, über seine
Absichten beispielsweise. Immerhin will er deine Tochter heiraten, dein einziges
Kind.«
»Das werde ich kaum
verhindern können«, sagte Chad
müde.
»Und warum sollte ich das auch wollen? Gwen ist erwachsen. Sie muss das selbst wissen.« »Er
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