Das andere Kind
hat
kein Geld, und er hat keinen richtigen Beruf. Das sollte dich zumindest interessieren!«
»Fiona, du
gehst absolut zu weit!«, rief Leslie scharf. Ihre Stimme war so laut, dass Cal und Wotan
gleichzeitig erwachten und die Köpfe hoben. Cal knurrte leise.
»Sie hat ja recht«, sagte Dave. Er sah Fiona an. Weder seine Augen noch sein
Gesichtsausdruck verrieten, was in ihm vorging. »Sie haben recht,
Mrs. Barnes. Ich habe keinen richtigen Beruf. Unglücklicherweise
habe ich es versäumt, mein Studium zu Ende zu führen oder mich um irgendeine andere Ausbildung
zu bemühen. Und ich halte mich mit den Kursen ziemlich mühsam über Wasser. Aber ich habe Gwen
gegenüber auch nie etwas anderes behauptet. Ich mache ihr nichts vor. Niemandem
hier.«
»Ich glaube schon,
da ss Sie das tun, Mr. Tanner«, er widerte Fiona ruhig.
Gwen gab einen leisen Laut des
Entsetzens von sich. Jennifer vergrub das Gesicht in den Händen.
Leslie sah aus, als würde sie ihre
Großmutter am liebsten erschlagen.
Selbst Chad sah
sich in diesem Moment bemüßigt, etwas zu sagen. »Fiona, vielleicht sollten wir uns wirklich
nicht einmischen«, meinte er, »gerade wir beide ... « »Was meinst du mit gerade wir beide?«, schnappte Fiona. Sein immer etwas
verloren wirkender Gesichtsausdruck veränderte sich. Sein Blick wurde klar und direkt. »Das
weißt du«, sagte er ruhig.
»Ich denke ... «, setzte Leslie
an, wurde jedoch von Tanner unterbrochen, der plötzlich seinen Stuhl zurückschob und
aufstand.
»Ich weiß nicht, was genau Sie
mir unterstellen, Mrs. Barnes«, sagte er. »Aber offen gestanden bin ich nicht länger gewillt,
mich in dieser Weise von Ihnen behandeln zu lassen, obwohl es sich bei dieser harmonischen
Veranstaltung hier um meine Verlobungsfeier handelt. Ich glaube, für heute Abend haben wir alle
genug.«
»Bitte, geh nicht, Dave!«, flehte
Gwen. Sie war kreidebleich geworden.
»Ich kann Ihnen sagen, was ich
Ihnen unterstelle, Mr. Tanner«, sagte Fiona, und Colin dachte, dass diese alte Frau tatsächlich
nicht das geringste Gespür dafür hatte, von welchem Punkt an man am besten den Mund hielt. »Ich
unterstelle Ihnen, Gwen Beckett nicht zu lieben, sie nicht einmal besonders zu schätzen oder zu
achten. Ich unterstelle Ihnen, sich mit dieser Heirat die Beckett-Farm unter den Nagel reißen
zu wollen. Ich unterstelle Ihnen, Mr. Tanner, dass Sie sich in einer bedrückenden und
perspektivlosen Lage befinden, aus der heraus Sie nur einen einzigen Ausweg sehen: die Heirat
mit einer wohlhabenden Frau. Sie wissen genau, was man aus dieser Farm, aus dem Land hier
direkt am Meer, machen könnte. Die Eheschließung mit Gwen ist für Sie wie ein Treffer im
Glücksspiel, und diesen Treffer wollen Sie haben, um jeden Preis. Gwens Gefühle, ihre Zukunft,
das ist Ihnen alles gleichgültig.«
Fassungsloses Schweigen folgte
ihren Worten.
Dann verließ Dave Tanner mit
schnellen Schritten den Raum.
Gwen schluchzte auf
Unter der Wärme des Kaminfeuers
schmolz langsam das Eis in den Schälchen. Niemand rührte mehr etwas davon an.
SONNTAG, 12. OKTOBER
Sie kehrte kurz nach Mitternacht in die Wohnung
ihrer Großmutter zurück und war immer noch wütend. Und etwas betrunken. Ziemlich betrunken
sogar, wie sie befürchtete, denn es hatte ihr erhebliche Mühe bereitet, die Haustür
aufzuschließen, danach hatte sie sich zunächst in der Wohnungstür geirrt und glücklicherweise
noch rechtzeitig bemerkt, dass sie sich im falschen Stockwerk befand, ehe sie einen
verschlafenen Nachbarn aus seinem Bett hätte holen können. Nun stand sie in Fionas Wohnung und
wusste, dass sie mindestens zwei Aspirin brauchte, sonst würde es ihr am nächsten Morgen
richtig schlecht gehen.
Die Tür zu Fionas Schlafzimmer war geschlossen.
Wahrscheinlich schlief die alte Frau schon tief und friedlich. Leslie erwog einen kurzen Moment
lang, leise nachzusehen und sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, doch dann zog sie
es doch vor, kein Risiko einzugehen. Am Ende wachte Fiona auf, und dann hätte Leslie für nichts
garantieren können. Vermutlich hätten sie sich so hemmungslos zerstritten, dass auf Monate kein
normaler Kontakt zwischen ihnen mehr möglich gewesen wäre.
Bis zum nächsten Morgen hatten sich die
schlimmsten Wogen vielleicht geglättet.
Leslie schlich ins Bad, stöberte im
Medikamentenschränkchen herum, fand eine angebrochene Schachtel Aspirin, die noch zwei
Tabletten enthielt. Sie
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