Das andere Kind
fragte Leslie
verblüfft. »Da musste sie ja durch das Waldstück, über die kleine Brücke, dann den Berg hinauf
... Sie muss mindestens fünfzehn Minuten bis dorthin gebraucht haben!« Sie, Colin und Gwen, die
bleich und verweint aussah, standen in der Küche. Gwen spülte das Geschirr, und Colin, der
zuvor am Tisch gesessen und mit gerunzelter Stirn einen Stapel eng bedruckter Papiere studiert
hatte, war inzwischen aufgestanden und trocknete ab.
»Aber genau das wollte sie ja«, sagte
er. »Laufen.« Er überlegte kurz. »Ich hatte den Eindruck, dass sie ziemlich erregt war.
Entweder war ihr die Sache um Dave Tanner doch ziemlich an die Nieren gegangen, oder es war
irgendetwas Unangenehmes, was sie mit Chad besprochen hatte. Auf jeden Fall stand sie deutlich
unter Strom. So, wie sie drauf war, konnte ich verstehen, dass sie Bewegung
brauchte.«
»Ich frage mich, wo sie dann
hingefahren sein könnte«, überlegte Leslie. »Vielleicht wollte sie nicht nach Hause, um mir aus
dem Weg zu gehen. Obwohl das alles andere als typisch für sie wäre. Sie ist nicht der Mensch,
der Konfrontationen ausweicht.«
Sie wandte sich um, als sie Schritte
hinter sich hörte. Chad tauchte aus dem Wohnzimmer auf. Wie immer wirkte er sehr in sich
gekehrt.
»Hallo, Leslie«, sagte er. »Ist Fiona
auch da?«
»Fiona scheint verschwunden zu sein«,
erklärte Colin. Chad sah verwirrt von einem zum anderen. »Verschwunden?«
»Colin hat gestern Abend ein Taxi
bestellt«, sagte Leslie, »zur Whitestone-Farm, weil sie noch ein Stück laufen wollte. Aber sie
ist nicht daheim angekommen. Hast du sie weggehen sehen, Chad?«
»Ich habe sie an der Tür zuletzt
gesehen«, antwortete Chad, »als ich ins Bett gehen wollte. Sie zog gerade ihren Mantel an und
erklärte, sie wolle dem Taxi ein Stück entgegenlaufen. Ich hörte noch die Haustür hinter ihr
zufallen.«
»Ich werde bei der Taxizentrale
anrufen«, sagte Colin und legte das Geschirrtuch auf den Tisch. »Die Fahrt muss ja dort
registriert sein. Dann erfahren wir sicher mehr.« Er verschwand im Arbeitszimmer, wo sich das
Telefon befand.
Gwen hörte auf zu
spülen, trocknete sich die Hände ab. »Mach dir keine Sorgen, Leslie. Das klärt sich bestimmt
au£« Leslie versuchte zu l ächeln. »Klar. Unkraut vergeht nicht.« Sie fasste sich an die Stirn. »Ich habe fürchterliche
Kopfschmerzen. Könnte ich wohl einen Kaffee haben? Und zwar so stark wie
möglich?«
»Natürlich«, sagte Gwen sofort.
»Ich setze gleich das Wasser auf.«
Vom Flur hörten sie lautes
Trappeln und Hecheln, und schon bogen die beiden Doggen um die Ecke in die Küche. Hinter ihnen
erschien Jennifer mit geröteten Wangen und zerzausten Haaren. »Es ist herrlich draußen«, sagte
sie. »Sonne und Wind und eine kristallklare Luft. Du hättest mitkommen sollen, Gwen. Oh, hallo,
Leslie! Wie geht's?«
»Fiona ist verschwunden«, sagte
Gwen.
Jennifer sah so verwirrt aus
wie ein paar Minuten zuvor auch Chad. »Was heißt verschwunden?«
»Das heißt, dass sie offenbar
gestern Abend von hier losgefahren ist, aber nie daheim ankam«, erklärte Leslie. »Ich habe das
erst heute am späten Vormittag gemerkt. Colin telefoniert gerade mit der
Taxizentrale.«
Colin erschien hinter seiner
Frau. »Die überprüfen das jetzt«, sagte er, »und rufen dann zurück.«
»Sehr seltsam«, bemerkte
Chad.
»Dass Dave Tanner sie
mitgenommen hat, können wir wohl ausschließen«, meinte Leslie.
»Dave war seit über zwei
Stunden weg, als Fiona schließlich an Aufbruch dachte«, sagte Colin. »Er müsste ja dann noch
irgendwo in der Nähe gewesen sein, und weshalb sollte er das getan haben?«
»Um später noch einmal Kontakt
mit seiner Verlobten aufzunehmen vielleicht«, meinte Jennifer, »wenn endlich alle fort sind
oder schlafen.« Hoffnung glomm in Gwens Augen. »Meinst du wirklich?«, fragte sie.
»Aber warum hat er dann Fiona
aufgegabelt? Ausgerechnet!«, sagte Leslie.
Jennifer zuckte die Schultern.
»Er hätte jeden Grund gehabt, mit ihr reden zu wollen. Sie von seinen lauteren Absichten
überzeugen, ihr seine Sicht der Dinge schildern. Es wäre nicht seine Sache gewesen, den Vorfall
vom Abend zu bereinigen, aber vielleicht wollte er es trotzdem tun.«
»Und weshalb hat er sie dann
nicht nach Hause gefahren?«, fragte Chad.
»Er hat sie mit zu sich
genommen. Sie haben die ganze Nacht geredet. Und sind dann weitergezogen in irgendein
Frühstückslokal!« Jennifer sah von
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