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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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seltensten
    Fällen anzumerken war. Sie hatte brutale Mörder erlebt, die über ein Aussehen und eine
    Ausstrahlung verfügten, dass man ihnen bedenkenlos sich selbst und alles, was einem lieb und
    teuer war, anvertraut hätte.
    »Wenn der ominöse anonyme Anrufer Fionas Mörder war, hätte er aber doch nicht heute früh in
    ihrer Wohnung angerufen«, meinte Jennifer, »denn dann wusste er ja nur allzu gut, dass sie
    längst tot war.«
    Valerie hörte ihr zerstreut zu. Das Problem war, dass sie zu diesem Zeitpunkt kaum eine
    Variante ausschließen konnte und zugleich nichts in der Hand hielt, was ihr wirklich plausibel
    erschien. Ein anonymer Anrufer, der es auf Fionas Leben abgesehen hatte? Woher hatte dieser
    gewusst, dass sie am späten Samstagabend auf der einsamen Landstraße, die zur Beckett-Farm
    führte, unterwegs sein würde? Für niemanden war dieser Umstand vorhersehbar gewesen. Lediglich
    die Personen, die an der unglückseligen Verlobungsfeier teilgenommen hatten, konnten davon
    gewusst haben. Aber wer von ihnen konnte aus welchem Grund hingehen und die alte Frau mit solch
    grausamer Wut ermorden?
    Sie verabschiedete sich von Jennifer und Leslie und trat hinaus auf den Hof, der trotz seines
    heruntergekommenen Zustands im Licht dieses herrlichen Tages fast idyllisch wirkte. Der Wind,
    der vom Meer heraufstrich, brachte den Geruch von Algen und den Geschmack von Salz mit
    sich.
    Valerie überlegte.
    Die Enkelin, Leslie Cramer, hatte nach eigener Aussage die Farm eine ganze Weile vor ihrer
    Großmutter verlassen und war in ein Pub, ins Jolly Sailors in Burniston, eingekehrt, um sich
    mit einigen Whiskys zu trösten. Dies würde sich leicht überprüfen lassen. Valerie wusste, dass
    in dieser Gegend eine Frau, die allein in eine Bar ging und sich dort zuschüttete, mehr auffiel
    als ein bunter Hund.
    Chad Beckett hatte sich mit Fiona in seinem Arbeitszimmer unterhalten. Dabei hatte sie ihm von
    den Anrufen erzählt, die ihr offenbar Sorgen gemacht hatten. Chad hatte sie beschwichtigt. Sie
    hätten dann noch über dies und das geredet, dann habe sie schließlich nach Hause gewollt, und
    er sei schlafen gegangen. Natürlich hätte die Möglichkeit bestanden, dass er ihr folgte, doch
    Valerie bezweifelte es. Zum einen sah sie weit und breit kein Motiv, zum anderen hatte sie
    bemerkt, wie schwerfällig er sich bewegte. Das Laufen schien ihm erhebliche Schmerzen zu
    bereiten, er war ein alter Mann, der mit seinem Körper zunehmend schlecht zurechtkam. Fiona
    Barnes hingegen war ihr als ungewöhnlich fit und beweglich für ihr Alter beschrieben worden.
    Schwer vorstellbar, dass er es bis zu der Schlucht geschafft und dann noch die Kraft
    aufgebracht hätte, eine Frau zu erschlagen, die leicht vor ihm hätte davonlaufen
    können.
    Colin Brankley. Der Feriengast, der das Taxi bestellt hatte. Er hatte sich von Fiona
    verabschiedet, war ins Bett gegangen. Was seine Frau nicht bestätigen konnte, da sie mit ihren
    Hunden unterwegs gewesen war. In Gedanken machte Valerie ein Fragezeichen hinter Colins Namen.
    Ein Intellektueller, ein Bücherwurm, der seit Jahren seine Ferien auf dieser tristen Farm
    verbrachte.
    »Meine Frau hängt sehr an den Hunden«, hatte er erklärt, »wir haben also nicht viel Auswahl,
    was Ferienorte angeht. Außerdem sind Jennifer und Gwen befreundet.«
    Okay. Das klang nicht unplausibel. Dennoch blieben zwei Fakten bestehen: Colin war Mitte
    vierzig, kräftig und behände. Über die körperlichen Voraussetzungen, eine alte Frau zu töten,
    verfügte er in jedem Fall. Und er hatte kein Alibi. Valerie beschloss zu überprüfen, was er
    getan und wo er sich aufgehalten hatte, als Amy Mills ermordet wurde, wobei sie bereits ahnte,
    dass dies nicht allzu viel bringen würde. Er würde angeben, dass er in seinem Bett zu Hause
    gelegen und geschlafen hatte, und seine Frau würde das bestätigen.
    Seine Frau. Jennifer. Valerie hätte nicht genau sagen können, weshalb, aber sie erschien ihr
    undurchsichtig. Sie hatte einen unsteten Blick, wirkte wie ein Dampfkessel, der unter zu hohem
    Druck steht und der nur mit großer Kraftanstrengung unter Kontrolle gehalten wird. Irgendetwas
    stimmte nicht mit ihr. Zudem hatte der Name Jennifer Brankley bei Valerie eine Erinnerung zum
    Klingeln gebracht. Er war ihr schon einmal untergekommen, aber beim besten Willen gelang es ihr
    nicht, ihn einzuordnen.
    Sie würde es herausfinden.
    Jennifer Brankley hatte die ersten eineinhalb Stunden nach dem abrupten Ende des

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