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Das andere Kind

Titel: Das andere Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das andere Kind
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Dimensionen des Denkens, alle Dimensionen dessen, was sich
    Leslie ausmalen konnte. Sie wusste, dass sie unter Schock stand, denn obwohl sie mit glasklarer
    Deutlichkeit begriff, was geschehen war, obwohl sie jedes Wort verstanden hatte, das Detective
    Inspector Almond am gestrigen Abend zu ihr gesagt hatte, vermochte das Entsetzen in seiner
    ganzen Endgültigkeit noch nicht bis zu ihr vorzudringen. Noch stand eine Wand zwischen ihr und
    der ungeheuerlichen Erkenntnis, dass etwas geschehen war, was ihr ganzes weiteres Leben prägen
    würde. Den Tod ihrer Großmutter, der einzigen Bezugsperson ihrer Kindheit und Jugend, würde sie
    niemals wirklich verarbeiten können. Ihrem Tod würde immer der Gedanke an das Verbrechen,
    brutal, wüst und gemein, anhaften. Nie würde sie Fionas Grab besuchen können, ohne an die
    letzten Minuten im Leben der a lten Frau denken zu müssen. Es würde nie tröstliche Phrasen geben, wie: Sie hat
    nicht gelitten oder: Der Tod war eine
    Erlösung für sie oder: Wenigstens ist es
    schnell gegangen. Denn das stand fest: Fiona hatte gelitten. Der Tod
    war höchstens insofern eine Erlösung gewesen, als er ihr Martyrium in der Gewalt eines
    Verbrechers beendet hatte. Und es war nicht schnell gegangen. Sie war von diesem Menschen, wer
    immer er war, bis zu der Abgeschiedenheit der Schafweide geschleppt, getrieben, genötigt
    worden. Sie musste geahnt haben, was ihr bevorstand. Hatte sie in ihrer Todesangst nach ihrer
    Enkelin gerufen?
    Aber der Schock hatte
    immerhin bewirkt, dass Leslie ein überraschend sachliches Gespräch mit Valerie Almond hatte
    führen können. Die Beamtin hatte sie mit schonenden, vorsichtigen Worten vom gewaltsamen Tod
    ihrer Großmutter unterrichtet. »Leider habe ich einige Fragen an Sie«, hatte sie schließlich
    hinzugefugt, »aber das hat auch Zeit bis morgen.« Leslie hatte wie betäubt auf dem Sofa
    gesessen und den Kopf geschüttelt. »Nein. Nein, fragen Sie jetzt. Es ist in
    Ordnung.«
    Das Gespräch hatte
    ihr über die erste Stunde geholfen. Rational, konzentriert und detailliert hatte sie den
    Samstagabend geschildert. Es tat ihr gut, ihr Gehirn anzustrengen, sich um die Erinnerung auch
    an Kleinigkeiten zu bemühen.
    Schließlich hatte sie
    gefragt: »Werde ich meine Großmutter identifizieren müssen?«
    Valerie hatte
    genickt. »Es wäre hilfreich. Zwar besteht kaum ein Zweifel an der Identität der Toten, leider,
    aber es würde die hundertprozentige Gewissheit bringen. Im Moment ist sie in der
    Gerichtsmedizin, aber ... es wäre gut, wenn jemand Sie dann begleiten könnte. Haben Sie hier in
    Scarborough weitere Angehörige?«
    Leslie hatte den Kopf
    geschüttelt. »Nein. Fiona war meine einzige Angehörige überhaupt.«
    Valerie hatte sie
    mitfühlend angesehen. »Sie können auch jetzt zu niemandem gehen? Es ist vielleicht nicht gut
    für Sie, heute Nacht ganz allein in dieser Wohnung zu bleiben.«
    „Ich möchte hier
    bleiben. Es wird gehen. Ich bin Ärztin«, fügte sie hinzu, und obwohl ihr Beruf eigentlich für
    den Moment keine Rolle spielte, schien Valerie Almond diese Bemerkung irgendwie überzeugend zu
    finden.
    Valerie hatte gesagt, sie werde am nächsten Morgen zur Beckett- Farm hinauskommen, um
    mit den do rtigen Bewohnern zu sprechen. » Das wird gegen zehn Uhr sein. Es wäre gut, wenn Sie dabei
    sein könnten. Soll ic h Ihnen einen Wagen schicken?« » Ich werde da sein. Ich komme mit meinem Auto,
    danke.«
    Die Beamtin
    hatte sich verabschiedet, Leslie jedoch noch ihre Karte ausgehändigt mit der Bitte, sich bei
    ihr zu melden, falls ihr irgendetwas einfiele, was im Zusammenhang mit der Ermordung ihrer
    Großmutter stehen könnte.
    „Auch wenn es
    Ihnen banal vorkommt«, hatte sie hinzugefügt, „es könnte für uns durchaus von Bedeutung
    sein.«
    Leslie hatte
    auf der Farm angerufen und eine fassungslose Gwen von den Geschehnissen unterrichtet. Gwen
    hatte Fragen über Fragen gestellt, ihren Schrecken, ihr Entsetzen bekundet, wieder Fragen
    gestellt, so lange, bis Leslie geglaubt hatte, jeden Moment die Nerven zu verlieren und zu
    schreien.
    » Hör zu, Gwen, du wirst sicher verstehen, dass ich jetzt
    etwas Ruhe brauche«, hatte sie die Freundin unterbrochen. » Wir sehen uns morgen, ja?«
    »Aber
    willst du nicht gleich herkommen? Du kannst doch jetzt nicht allein sein! Ich meine, es ist
    nicht gut, wenn ... «
    »Bis
    morgen, Gwen!« Damit hatte sie den Hörer aufgelegt.
    Wie war
    die Nacht vergangen? Sie hätte es nicht zu sagen

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