Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
fiel nur Meister Thürner ein, der die Frauen zumindest in seine Scheune lassen konnte, bis die Belagerung vorüber war. Allerdings wollte sie sich nicht vorstellen, was dessen zanksüchtiges Weib dazu sagen würde. Es blieb nur zu hoffen, dass es dem Henker gelang, sich gegen sein Eheweib durchzusetzen. Elisabeth spürte den Blick der Eselswirtin auf sich ruhen und erwiderte ihn zögernd.
»Das hätte ich mir ja denken können, dass nur du in der Lage bist, einen solch verrückten Einfall in die Tat umzusetzen. Gret wollte mir nichts verraten.« Sie kam einen Schritt näher, schien es sich dann aber anders zu überlegen und blieb abrupt stehen.
»Du warst schon immer anders als alle Mädchen, die ich gekannt habe. Ich hätte wissen müssen, dass du etwas ganz Besonderes bist.« Ein Lächeln erhellte ihr faltiges, ausgezehrtes Gesicht. »Die Dirnen der Stadt vor dem Kriegsmob schützen! Nein, wo hat man so etwas schon gehört? Du bist und bleibst ein verrücktes Ding. Wir haben dir zu danken.« Sie deutete eine Verbeugung an. »Und nun mach, dass du fortkommst, und bleib, wo du hingehörst. Und nimm die beiden feinen Mägde mit dir. Wir kommen hier schon zurecht.
Um uns musst du dir keine Sorgen machen. Nein, fast denke ich, wir müssten uns um dich sorgen. Dein Leichtsinn und dein gutes Herz sind deine größten Feinde. Merke dir meine Worte, Kind.«
Nun neigte Elisabeth das Haupt und lächelte. »Ich werde es nicht vergessen, Eselswirtin, und wünsche euch allen Gottes Segen.«
Sie wandte sich ab und ging davon. Gret, Jeanne und Meister Thomas folgten ihr. Sie schwiegen, bis sie die Domstraße überquert hatten. Dann räusperte sich Meister Thomas.
»Fräulein Elisabeth, ich werde Euch heute keine Fragen stellen, denn ich spüre wohl, dass Ihr nicht bereit seid, mir eine Antwort zu geben. Doch darf ich darauf hoffen, dass Ihr mir irgendwann erklärt, was heute hier geschehen ist?«
Elisabeth spürte das Lächeln in sich aufsteigen und konnte nicht verhindern, dass es ihre Miene erhellte.
»Vielleicht, Meister Thomas. Ich weiß es selbst noch nicht, doch Ihr wisst ja: Man soll die Hoffnung niemals aufgeben.«
Den ganzen Tag und die halbe Nacht über wütete das Heer der Belagerer draußen in den Weinbergen und auf den Feldern und vernichtete in nur wenigen Stunden, was Hunderte Hände von Bauern und Häckern über Jahre hinweg gezogen und gepflegt hatten. Die Kornfelder konnten im Herbst oder Frühling wieder gepflügt und eingesät werden, doch vom Verlust der alten Weinstöcke und Bäume würde sich die Stadt nur langsam erholen. Ein seltsames Schweigen hing über Würzburg. Die Bürger bewegten sich durch die Gassen, als folgten sie einem Leichenzug.
Kapitel 18
A lbrecht kniete in der Basilika vor dem Bild des Gekreuzigten und versuchte seine Gedanken auf den Erlöser zu richten. Er musste sich fallen lassen und vertrauensvoll in dessen Hände geben, denn der Herr im Himmel war allmächtig, und nichts geschah ohne seinen Willen.
Und warum ließ er es dann zu, dass der Bischof wieder Kriegsvolk um sich scharte und seine Stadt Würzburg belagerte?
Statt Frieden und Ergebenheit spürte Albrecht nur Zorn. Es gelang ihm nicht, Gottes Willen in Demut hinzunehmen. Der Wunsch, seine Rüstung anzulegen und mit dem Schwert in der Hand gegen den Bischof vorzugehen, war beinahe übermächtig. Nein, er war kein Kirchenmann, der Trost im Gebet fand.
Albrecht sprang auf und begann ruhelos auf und ab zu gehen.
»Warum nur? Ich verstehe das nicht! Der von Brunn schickt sein Kriegsvolk nach Würzburg, lässt die Felder verwüsten und die Weinstöcke niederbrennen. Selbst wenn es ihm nicht gelingt, die Stadt zu erobern, werden die Menschen im Winter Hunger leiden. Herr, warum lässt Du das zu?« Mit anklagendem Blick blieb er vor dem Bild des Gekreuzigten stehen. Der aber blieb stumm, und so setzte Albrecht seine Wanderung und sein Selbstgespräch fort.
»Ich verstehe ja, wenn du mich strafen willst. Ja, ich habe vieles falsch gemacht, aber mit den besten Absichten. Das
weißt Du, Herr, denn Du bist allwissend. Aber wie kannst Du die Menschen in Franken weiter belasten? Haben sie nicht lange genug unter diesem Bischof gelitten? Warum gebietest Du ihm nicht Einhalt?«
Wieder hielt er vor dem Bild inne. »Es wäre meine Aufgabe gewesen, nicht wahr? Ich hätte es verhindern müssen. Doch wie konnte ich? Warum hast Du mich vor diese schwere Wahl gestellt? Ja, ich habe gefehlt und die Untertanen Frankens geopfert. Wie
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