Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
du. Er war stets in dich vernarrt, so sehr, dass er dich sogar bis nach Prag mitschleppte, während ich nur eines seiner Bälger war.« Es klang ein wenig bitter. »Ich weiß nicht einmal, wie viele Halbgeschwister wir haben – und der Bischof vermutlich auch nicht. Jedenfalls ist es ihm herzlich egal, was ich tue und wo ich mich aufhalte. Ja, es hat ihn mehr erzürnt, dass Thomas nicht bei ihm auf dem Zabelstein geblieben ist. Sein Apotheker scheint ihm wichtig.«
So sprachen sie miteinander und vermieden es, an das Ziel zu denken, auf das das Heer unerbittlich vorrückte. Doch so ganz verdrängen ließen sich die Gedanken nicht. Das Bild des riesigen wogenden Heeres vor ihnen war zu eindrucksvoll. Zwei schwere Steinbüchsen wurden auf Wagen mitgeführt, und zwischen dem Hauptheer und der Nachhut rollte der Tross mit seinen Karren, auf denen sie Zelte, Essen, Fässer mit Wein und allerlei Gerätschaften mitführten, die für einen länger andauernden Kriegszug unentbehrlich waren. Auch zwei Bader reisten auf ihren Wagen mit. Die Frauen der Landstraße, die sich so häufig den Kriegszügen anschlossen, konnte Elisabeth allerdings nicht ausmachen. Bis auf eine Alte, die vermutlich nicht zur Erbauung der Männer dabei war. Vielleicht konnte sie Karten legen oder so etwas. Oder es war eines der Kräuterweiblein, die sich besser als jeder Bader auf die Versorgung von Wunden verstanden.
Elisabeth ließ den Blick bang die wogenden Leiber vor
sich entlangwandern. Wie viele Männer! Wo kamen sie nur alle her? Und wie hatte der Bischof sie so schnell zusammenbekommen? Auch die Reiterschar, die sie passiert hatten, war beeindruckend.
»Sie hatten sich aufgeteilt«, erklärte Georg. »Die schnelle Vorhut hat den Versuch eines Überraschungsangriffs unternommen, während das langsame Hauptheer mit den Karren gezwungen war, sich an die befestigte Straße zu halten.«
Gret nickte. »Deshalb sind sie so schnell hier. Ich hatte mich schon gefragt, ob der Bischof über die Hilfe satanischer Dämonen verfügt, dass er nach dem gescheiterten Angriff so schnell ein weiteres Heer heranführen kann.«
Keinem war danach, die Magd für diese Vermutung zu rügen.
»Müssen wir um Ochsenfurt fürchten?«, murmelte Elisabeth.
Meister Thomas bewegten ähnliche Gedanken. »Ich habe einen unserer Bewacher gefragt. Es sollen eintausendfünfhundert Mann zu Fuß sein, und dazu noch die Reiterschar, die kaum kleiner ist.«
»Das könnte eine längere Belagerung werden«, vermutete Elisabeth. Sie ließ den Blick über die Wagen schweifen, die mit Zelten und Decken beladen waren. Das Herz wurde ihr schwer. Doch sie konnte nichts tun, um den Menschen in der Stadt zu helfen. Nein, sie bildete sich nicht ein, derart großen Einfluss auf den Bischof zu besitzen, dass sie ihn von diesem Vorhaben hätte abbringen können. Ganz im Gegenteil. Der Bischof zürnte ihr, weil sie dem väterlichen Befehl nicht gefolgt war. Die Frage war also, was hatte er mit ihr vor? Vermutlich würde er sie zur Strafe mit einem Bewacher auf den Zabelstein zurückbringen lassen, wo sie in tödlicher Langeweile auf ihn würde warten müssen, bis er von seinem Kriegszug zurückkehrte. Irgendwann würde ihn die Kälte des Winters schon zu seiner Burg zurücktreiben. Und dann? Dann
stand ihr noch ein elender Winter zwischen den einsamen Mauern bevor. Gefolgt von einem Frühling voller unerfüllter Sehnsüchte. Gequält schloss Elisabeth die Augen. Sie wollte nicht weiterdenken.
Der Zug kam ins Stocken. War das auf dem Berg vor ihnen bereits die Steinwarte? Elisabeth konnte nur hoffen, dass die Ochsenfurter gewarnt waren und wussten, was sich an diesem Tag auf sie zuwälzte.
Der Tross, der der Straße am Main gefolgt war, schwenkte nun nach links und folgte einem steilen Waldweg. Die Karren ächzten. Peitschen sirrten durch die Luft. Für eine Weile verlor Elisabeth zwischen den hohen Bäumen die Orientierung. Auf einer weitläufigen Wiese und einigen Feldern in einer flachen Talmulde, die von allen Seiten von Wald begrenzt wurde, hielt der Zug an. Den Rufen konnte sie entnehmen, dass hier das Lager errichtet werden sollte. Die Wagen wurden in einem weitläufigen Kreis aufgestellt, die Zelte abgeladen, die Pferde ausgeschirrt und zusammengetrieben. Nur die schweren Karren mit den Steinbüchsen, mit Kugeln und Pulver blieben angespannt. Ein Trupp Männer brachte sie unter der Führung von Heinrich Schetzlein auf die südlich gelegene Anhöhe hinauf. Da sich niemand um sie
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