Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
kümmerte, folgte Elisabeth neugierig. Gret schloss sich ihr an. Jeanne dagegen war damit beschäftigt, für Elisabeth eine Unterkunft für die Nacht zu besorgen. Wenn es um das Wohl ihrer Herrin ging, konnte sie sehr energisch werden.
»Wo wollt ihr denn hin?« Georg und Meister Thomas kamen den Frauen hinterher.
Elisabeth drehte sich zu den Männern um. »Nachsehen, was vor sich geht! Es wird nicht vielen vergönnt sein, den Angriff auf eine Stadt so rasch hintereinander von beiden Seiten betrachten zu dürfen«, fügte sie bitter hinzu.
»Wo sind wir eigentlich?«, wollte Gret wissen.
Die Antwort erhielten sie, als sie den Kamm des Hügels
erreichten und sich unvermittelt unter ihnen der Main entlangzog, von einer Brücke gequert, die hinüber zu der befestigten Stadt Ochsenfurt führte.
»Wir sind auf dem alten Berg«, stellte Georg fest. »Und die Stadt präsentiert sich in ihrer ganzen Pracht zu unseren Füßen.«
»Wie wird dieser Tag für die Bürger dort unten enden?«, fragte Meister Thomas und sprach damit aus, was sie alle in diesem Moment dachten.
Mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu betrachtete Elisabeth, wie die Männer die Steinbüchsen geschickt in Stellung brachten. Sie begannen mit dem aufwendigen Laden der Kanonen. Das Pulver wurde vermessen und in die hintere Kammer gestopft. Dann musste sie abgedichtet werden. Je sorgfältiger dies geschah, desto weiter konnte das schwere Geschoss fliegen. Zwei Männer wuchteten die steinernen Kugeln in den Lauf der langen Rohre. Nun kam die entscheidende Arbeit, die nicht exakt runde Kugel zu verschoppen, damit der Schub des entzündeten Pulvers nicht seitlich entweichen und wirkungslos verpuffen konnte. Die schwere Kugel benötigte den ganzen Schub, der durch die Explosion entstand. Anders als bei den kleineren und gleichmäßigeren Eisenkugeln war dies bei den Steingeschossen eine langwierige Prozedur, die Stunden in Anspruch nehmen konnte. Der Büchsenmeister trat immer wieder hinzu und gab Anweisungen.
Lange schon hatten sich Elisabeth und die anderen auf ihren Umhängen im Gras niedergelassen. Georg döste vor sich hin. Elisabeth sprach leise mit Meister Thomas, während Gret die Männer an den Büchsen nicht aus den Augen ließ.
Endlich traten die Männer zurück und meldeten, dass die Kanonen geladen und fertig zum Schuss seien. Elisabeth begann zu begreifen, warum aus diesen Büchsen oftmals nicht mehr als ein oder zwei Schuss am Tag abgegeben werden
konnten. Allerdings gab es monströse Steinbüchsen, deren Kugeln einen Schritt im Durchmesser maßen und von denen ein exakt gezielter Schuss ausreichen konnte, um bei einer Belagerung die Entscheidung herbeizuführen. Solch einer Gewalt hielt kein Turm und keine Stadtmauer stand!
Die Büchsen des Bischofs fassten Kugeln, die gerade einmal die Hälfte maßen, deren Durchschlagskraft jedoch nicht zu verachten war. Eine größere Büchse hierherzuschaffen war wegen ihres Gewichts nicht möglich gewesen. Schließlich hatte man sie recht schnell über eine größere Stecke transportieren müssen. Und jeder zu steile Anstieg, jeder Regenguss, der den Boden aufweichte, konnte das Ende für die Reise einer Büchse bedeuten. Schon allein daran scheiterte meist die Verwendung größerer Geschütze.
Da tauchte der Bischof hoch zu Ross auf, von seinen Beratern, Hauptleuten und einigen Fahnenträgern begleitet. Natürlich war auch Friedlein an seiner Seite. Eine Fahne mit dem Wappen derer von Brunn und eine bischöfliche, geviertelt mit dem fränkischen Rechen in zweien der Felder, flatterte über ihren Köpfen. Johann von Brunn sprach ein paar Worte, dann gab er dem Büchsenmeister den Feuerbefehl. Der verbeugte sich. Er trat zu den beiden Mannschaften und ließ die Lunten entzünden. Die Schnur begann zu brennen und versprühte kleine Funken. Der Mann mit der Lunte wartete, bis sie in sattem Rot glühte. Erwartungsvoll sah er den Büchsenmeister an. Der blickte noch einmal zum Bischof und den Hauptleuten hinüber, die sich in sichere Entfernung zurückzogen, ehe er den Angriff eröffnete.
»Erste Büchse, Feuer!«
Der Kanonendonner in der Stadt war schon gewaltig gewesen, doch als das Schwarzpulver zündete und die Steinkugel aus dem Lauf trieb, hatte Elisabeth das Gefühl, der Boden würde unter ihren Füßen bersten. Beißender Qualm hüllte sie ein und ließ sie husten. In ihren Ohren rauschte und
klingelte es. Sie verfolgte den Flug der Kugel über den Fluss und die Brücke hinweg und sah,
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