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Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)

Titel: Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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wie sie am Fuß der Mauer einen Krater schlug. Steinsplitter, Gras und Erde stoben nach allen Seiten, doch die Mauer schien keinen ernsthaften Schaden genommen zu haben.
    Der Büchsenmeister unterbrach den Angriff und ließ den Mann mit der Lunte zurücktreten, ehe der zweite Schuss abgefeuert wurde. Der kleine, dicke Mann, der offensichtlich etwas von seinem Handwerk verstand, ging um die Kanone herum, peilte die Laufrichtung noch einmal aus und ließ dann den Aufbau so verändern, dass das Rohr nun ein klein wenig weiter nach rechts und in die Höhe zeigte. Dann nickte er.
    Elisabeth presste sich die Hände auf beide Ohren, doch der Knall schüttelte ihren ganzen Leib. Durch den wirbelnden Qualm sah sie das Geschoss in einem weiten Bogen davonfliegen. Es überwand die Stadtmauer und ging im Klingenviertel zwischen dem Taubenturm und dem Thürmerturm an der Brücke im Meer der Häuser nieder. Wie viel Schaden der Einschlag der Kugel anrichtete, konnten sie von ihrem Standpunkt aus nicht erkennen. Dennoch war der Bischof fürs Erste zufrieden. Er gab dem Büchsenmeister die Anweisung, die Rohre genauer auf die Mauer und das Brückentor auszurichten, um die Stadt an ihrer empfindlichen Stelle zu treffen, was dem altgedienten Mann an der Kanone sicher selbst klar sein musste. Nur – so einfach war das eben nicht. Jetzt jedenfalls standen ihm erst einmal harte Stunden bevor, in denen die Rohre gereinigt und dann für den nächsten Schuss wieder befüllt werden mussten. Vielleicht würden sie vor der Nacht noch einmal auf die Stadt feuern können.
    Der Bischof nickte ihm hoheitsvoll zu und wandte sich dann ab. Dabei entdeckte er – nun, da sich die Pulverschwaden langsam verzogen – Elisabeth und ihre Begleiter, die sich etwas abseits in ein Gebüsch zurückgezogen hatten. Die Miene des Bischofs verfinsterte sich. Sein kurzer dicker Zeigefinger
winkte sie heran. Sie sah sich nach Georg um, doch nach seinem Sohn schien der Bischof keine Sehnsucht zu haben, und freiwillig setzte sich Georg nicht der väterlichen Gewalt aus. Missmutig trat Elisabeth näher und deutete eine Verbeugung an.
    »Ihr wünscht, Exzellenz?«
    »Was hast du hier zu suchen?« Seine Stimme klang barsch.
    »Wenn ich schon so unerwartet dazu komme, Euch bei Eurem Kriegszug zu begleiten, dann will ich auch sehen, was geschieht und wie Ihr Euch gegen die Ochsenfurter schlagt«, antwortete sie zu scharf, als dass es als höflich hätte gelten können. Die Männer seines Gefolges tauschten Blicke. Vielleicht gerade weil sie so dreist war, vor seinen Junkern und Hauptleuten solch einen Ton anzuschlagen, lief er vor Zorn rot an und schickte sie ins Lager zurück. Sie und die anderen sollten das Zelt, das man ihnen zuweisen würde, nicht mehr verlassen, bis er es ihnen gestattete. Zwei Wächter würden dafür sorgen, dass sie sich an seinen Befehl hielt. Über alles andere würde er später mit ihr sprechen.
    »Ich lasse dich holen, wenn ich Zeit dafür habe. Jetzt muss ich erst einmal einen Krieg führen und gewinnen!«
    So blieb den Geschwistern und ihren Begleitern nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Hier oben auf dem Hügel über der Stadt würde in den nächsten Stunden eh nichts Aufregendes passieren.
     
    Es war schon lange dunkel, als der Bischof sie holen ließ. Überall im Lager hatten die Männer Feuer entzündet. Vor dem Karren der alten Frau und auch bei den Badern drüben hingen riesige Eisenkessel über den Flammen, in denen Eintopf gekocht wurde. Auf einem Rübenfeld weiter hinten, das inzwischen allerdings eher einer Wüstung glich, wurden zwei Rinder und mehrere Schweine geschlachtet, die eine kleine Gruppe Männer noch am Mittag aus einem Dorf getrieben
hatten. Weinkrüge kreisten in den Runden. Natürlich hauste der Bischof im prächtigsten der Zelte. Dennoch wunderte sich Elisabeth, dass er überhaupt noch die Strapazen eines Feldlagers auf sich nahm. Selbst wenn sein ruheloser Geist in seiner Machtgier es nicht wahrhaben wollte, so war es dennoch eine unumstößliche Tatsache, dass er in einem alternden Körper wohnte, der ihm bereits fast achtzig Jahre gedient hatte und nun zunehmend dem Zerfall anheimfiel.
    Davon war allerdings nicht viel zu merken, als sie ihm in seinem Zelt gegenübertrat und er sie in stolzer Haltung empfing. Vielleicht lag dies an dem Funkeln in seinen noch so klaren Augen, das von einer Lebensgier sprach, die nicht bereit war, sich den Gesetzen der Natur zu ergeben.
    »Setz dich, meine Tochter«,

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