Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
nicht überzeugte. Die abfällige Miene schmerzte Albrecht bis ins Mark. Sein Oheim und sein Vater hielten ihn für schwach und feige, für unfähig, das Land zu führen. Er hatte sie zutiefst enttäuscht, und er konnte nichts tun, um seinen Ruf wiederherzustellen.
Und dabei wussten sie das Schlimmste ja noch gar nicht. Offensichtlich hatten sie noch nichts von der anderen Klausel erfahren, die Vater und Oheim entweder in Verzweiflung oder in blinde Wut stürzen würden, sollten sie davon erfahren. Und sie würden es erfahren. Irgendwann. Spätestens, wenn Bischof von Brunn endlich zu seinem Schöpfer gerufen wurde.
Es sollte ein wichtiger Tag werden, hatte der Bischof gesagt. Elisabeth schreckte beim Krachen der großen Büchsen aus dem Schlaf. Bis in die frühen Morgenstunden war sie wach gelegen. Einerseits natürlich aufgrund des ungewohnten Feldbettes und der Unruhe des Heerlagers, das kaum zur Ruhe kommen wollte. Aber auch ihre kreisenden Gedanken hielten sie wach. Endlich, als der Morgen bereits graute, schlummerte sie ein. Der erste Schuss aus einer der Steinbüchsen ließ sie jedoch kurz darauf mit einem Schrei aufspringen. Jeanne war sofort an ihrer Seite.
»Es ist nichts, Lisa, sie beginnen nur mit dem Schießen. Wir sind hier im Lager in Sicherheit.«
Elisabeth ließ sich wieder auf ihr Feldbett sinken. Ja, sie war in Sicherheit, soweit man das mit zweitausend bewaffneten Männern um einen herum sein konnte. Aber was war mit den Menschen des Landes? Was würde ihnen dieser Tag bringen? Und wer legte auf welche Weise fest, wen es treffen und wer verschont bleiben würde?
Wie die Entscheidung gefällt wurde, das erfuhr Elisabeth nicht, doch als sich ein Teil der Männer zum Aufbruch rüstete, erwischte sie Friedlein und fragte ihn, was der Bischof vorhabe.
»Da es unserem Büchsenmeister noch nicht gelungen ist, die Mauer sturmreif zu schießen, müssen wir die Männer anders beschäftigen. Merkt Euch eines, Fräulein Elisabeth – dies ist eine wichtige Regel jedes Kriegszuges: Haltet die Männer beschäftigt. Lasst niemals Langeweile aufkommen. Denn sie ist gefährlicher als so mancher Gegner. Sie zermürbt und reibt die Kämpfer auf, bis sie gegenseitig im Streit übereinander herfallen oder einfach heimlich das Lager verlassen. Über Nacht kann ein Feldherr auf diese Weise seine halbe Armee einbüßen!«
Ja, das hatte Elisabeth beim ersten Zug gegen die Hussiten selbst miterlebt. Und der unrühmliche zweite Zug wurde unter anderem für den König und das christliche Heer zu einem solchen Desaster, weil die Herren der vier Kontingente sich nicht auf einen gemeinsamen Heerführer einigen konnten und über Wochen keine Entscheidung gefällt wurde. So zog das riesige Heer aus allen Teilen des Reiches nach Böhmen und lagerte dann dort, ohne in eine Schlacht geführt zu werden. Schnell war es mit der Moral der Männer dahin. Da half es auch nicht, dass der König davon sprach, dass dies ein heiliger Krieg sei, und Frauen im Tross verbot. Auch das Spielen und Fluchen untersagte er bei Strafe des Prangers oder gar des Spießrutenlaufs und sparte noch dazu an Wein. Ja, vermutlich trug dieser Umstand maßgeblich dazu bei, dass die Männer des Nichtstuns so schnell überdrüssig wurden. Einige begannen auf eigene Faust die Höfe der Umgebung zu plündern und zu verheeren, andere verließen nachts einfach das Lager und machten sich verdrossen auf den Weg in die Heimat, bis sich die Reihen empfindlich gelichtet hatten. Elisabeth konnte sich noch lebhaft an die Erzählungen einiger Rückkehrer erinnern, die diesen Feldzug mitgemacht und ihm rechtzeitig vor der großen Schlacht den Rücken gekehrt hatten!
Diesen Fehler hatte der Bischof also nicht vor zu wiederholen.
Doch was war der Preis dafür? Sie scheute sich fast, Friedlein die Frage zu stellen.
Der Narr verzog sein schiefes Gesicht. »Das Los trifft heute Gosmannsdorf!«, verkündete er. »Der Bischof hat beschlossen, dass wir ein Stück mainabwärts bei der Furt den Strom queren und den Männern das Vergnügen überlassen, Gosmannsdorf zu verheeren und zu plündern – was dann vermutlich auch die Versorgung des Heeres für ein oder zwei Tage sicherstellen wird. Und nun entschuldigt mich, Fräulein Elisabeth. Wie Ihr hört, habe ich heute Wichtiges zu erledigen. Wie könnte ich mir diesen ruhmreichen Tag des bischöflichen Heeres entgehen lassen? Ich kann Euch leider nicht anbieten, mit mir zu kommen und an meiner Seite dem Treiben der Männer
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