Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
verantwortlich ist, dann doch sicher nur, um die Macht zurückzuerlangen.«
Michael von Wertheim hob die Schultern. »Das ist eben nicht so einfach, wie er sich das gedacht hat. Und nun muss er andere Pläne schmieden.«
Albrecht sah die beiden Männer forschend an. »Ihr glaubt also beide daran, dass er den Auftrag zu Johanns Ermordung gegeben hat? Und dennoch nehmt Ihr nicht nur dieses Schreiben von ihm entgegen, sondern denkt auch noch ernsthaft darüber nach, seinen Vorschlägen Folge zu leisten?« Albrechts Stimme klang ungewöhnlich schrill.
Der Vater schien etwas verlegen. »Nun ja, wir wissen es
ja nicht sicher. Er sagt nichts dergleichen. Vermutlich werden wir es nie erfahren. Jedenfalls ist das eine gute Chance, die die Familie nutzen sollte.«
»Ach ja? Mit ihm gemeinsame Sache zu machen? Und wenn er es sich dann wieder einmal anders überlegt, bin ich der Nächste, der mit Schaum vor dem Mund tot zusammenbricht. Nein, ich denke, ich verzichte auf diese Art von Unterstützung.«
»Nun rede nicht solch einen Unsinn!«, brauste der Vater auf. »Habe ich einen Feigling großgezogen, der sich fürchtet, einen Schritt nach vorne zu tun, und sich stattdessen lieber versteckt? Ich kann ihn auch nicht ausstehen, das musst du glauben, und ich verabscheue seine zahlreichen charakterlichen Schwächen. Dennoch kann ich eine Chance erkennen, wenn sie sich bietet, und ich weiß, wann es sich lohnt, sie zu ergreifen. Und deshalb wirst du dieser Einladung folgen und morgen in aller Frühe zum Zabelstein reiten. Hör dir an, was er zu sagen hat, und entscheide klug, mein Sohn.«
Albrecht überlegte, ob er dieses Ansinnen von sich weisen sollte, doch vielleicht war es gar nicht so schlecht, den Bischof zu treffen und ihm direkt zu sagen, dass er nicht interessiert sei und der abgesetzte Johann sich ein anderes Opfer für seine Machtspiele suchen solle. Ja, wenn der Vater und der Oheim nicht dabei waren, konnten sie seine Entscheidung auch nicht verhindern.
Den dicken Umhang eng um sich geschlungen schritt Elisabeth zwischen welken Unkräutern in der Schütt zu Füßen des Palas auf und ab. In ihrem Kopf schwirrten die Gedanken und wollten zu keiner Ordnung finden. Was sollte das bedeuten?
Der kalte Herbstwind zerrte an ihren Röcken, und es wurde bereits dunkel, doch sie bemerkte es nicht. Die ersten Lampen wurden drunten in der Stadt entzündet und erhellten
die pergamentbespannten Fenster mit einem warmen Schein. Elisabeth war so in sich gekehrt, dass sie die beiden Frauen erst bemerkte, als sich ein Arm vertrauensvoll um ihre Schulter legte.
»Sie ist schon den ganzen Tag von dieser Unruhe befallen«, sagte Jeanne zu Gret, die sich vor Elisabeth aufbaute, die Hände in die Hüften gestützt, den Blick forschend auf ihr Gesicht gerichtet.
»Was ist los? Erzähl es uns!«
Elisabeth hielt inne und hob die Schultern. »Nichts Besonderes. Albrecht ist heute in aller Früh wieder einmal davongeritten.«
»Zum Zabelstein, ja, das wissen wir«, bestätigte Gret.
»Was? Er reitet zu meinem Vater? Wieso wisst Ihr davon, und ich habe keine Ahnung?«
Gret zog eine Grimasse. »Mach dir nichts draus. Es ist völlig normal, dass die Dienerschaft stets mehr weiß als Herrschaften. Er wurde von seinem Vater und seinem Oheim geschickt, nachdem ein Bote vom Zabelstein ein Schreiben mit dem Siegel des Bischofs von Brunn an die Grafen von Wertheim überbracht hatte.«
Elisabeth schüttelte fassungslos den Kopf. »Ich weiß nicht, ob es den Grafen recht ist, dass anscheinend jeder darüber Bescheid weiß. Zumindest jeder außer mir.«
»Egal, ob es den Herren recht ist oder nicht. Verhindern werden sie es nicht können, solange sie Dienstboten um sich scharen, die Augen und Ohren im Kopf haben.«
»Da magst du recht haben, doch das ist nicht das Entscheidende!« , erwiderte Elisabeth mit einem Seufzer.
Gret nickte wissend. »Das Entscheidende ist, dass Albrecht es dir nicht gesagt und sich nicht von dir verabschiedet hat, nicht wahr?«
Elisabeth nickte und sah zu Boden. »Ich fürchte, ich habe ihn verloren.«
»Sie hat es ihm gesagt«, fügte Jeanne hinzu, obwohl Gret das sicher ebenfalls bereits wusste. »Und er ist davongestürmt, um darüber nachzudenken. Er war lange in der Kirche, hat mit sich gehadert und gebetet.«
»Ach, und du kannst mir nun sicher auch berichten, welche Worte seine Gebete enthielten«, rief Elisabeth in sarkastischem Ton, der bei Jeanne aber nicht anzukommen schien, denn sie antwortete
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