Das Antlitz der Ehre: Roman (German Edition)
nicht verraten hatte – welcher Mann konnte zu solch einer Großmut fähig sein, damit zu leben?
Als Elisabeth geendet hatte, schwieg auch Albrecht. Sie ließ ihm Zeit. Sie saß nur reglos da und sah zu ihm hinüber; er aber hielt den Blick gesenkt. Alles Leben schien aus ihm gewichen zu sein und eine leblose Hülle zurückgelassen zu haben. Elisabeth wusste nicht, wie sie den Schmerz dieses Anblicks ertragen sollte, doch konnte sie ihn trösten? Sie wagte nicht, ihn zu berühren. Konnten Worte wie eine scharfe Klinge ins Herz dringen und töten? In diesem Moment war sie überzeugt, dass sie genau das getan hatten.
Endlich hob Albrecht den Blick und richtete ihn auf Elisabeth. Er war der eines Fremden. Schwerfällig erhob er sich. Er schien in diesen Momenten gealtert. Als er zu sprechen anfing, klang seine Stimme rau und leblos.
»Ich habe deine Beichte gefürchtet, obwohl ich nicht ahnen konnte, wie schlimm sie ausfallen würde. Vielleicht hättest du auf mich hören und schweigen sollen. Andererseits, jetzt, da ich es weiß, wie könnte ich mir da noch wünschen, unwissend an deiner Seite zu leben? Nein, sag jetzt nichts mehr. Ich muss erst darüber nachdenken. Und ich glaube auch ein wenig beten. Ja, das ist es. Ich muss in die Kirche gehen. Vielleicht finde ich dort eine Antwort.«
Steifbeinig ging er hinaus. Erst als sich die Tür hinter ihm schloss, brach Elisabeth zusammen und weinte, bis Jeanne nach einer ihr angemessen erscheinenden Zeit zu ihr trat und sie in ihr Gemach geleitete.
Inzwischen ging das Schachern weiter; jeder suchte seine Pläne zu verfolgen und Anhänger zu gewinnen. Zu diesem Zweck gab es mehrere Möglichkeiten, die meisten hatten allerdings in irgendeiner Weise mit Geld oder Privilegien zu tun.
Es war einige Tage später, als Graf Hans von Wertheim seinen Sohn wieder zu sich rufen ließ. Albrechts Oheim, Graf Michael, war ebenfalls anwesend. Albrecht sah von einem zum anderen und fühlte sich mehr als unwohl. Die Mienen der beiden Brüder strahlten etwas aus, das ihm nicht gefiel. So viel Stolz und Zuversicht, als sei ihre Sache bereits gewonnen.
»So einfach wird das nicht«, murmelte Albrecht vor sich hin, während er sich höflich vor dem Vater und dem Oheim verbeugte. »Auch ich habe den berühmten Sturschädel der Familie geerbt, also freut euch nicht zu früh!«
Laut dagegen begrüßte er die Familienoberhäupter, wie es sich gehörte, und fragte, weshalb sie ihn hatten rufen lassen.
»Unsere Sache steht nicht schlecht«, begann der Vater mit einem breiten Lächeln, und Albrecht musste sich zurückhalten, ihm nicht sogleich ins Wort zu fallen.
»Wir haben unsere Fühler ausgestreckt und Gespräche geführt…«
… und Bestechungsgelder in Aussicht gestellt , ergänzte Albrecht im Stillen.
»Doch dann ergab sich eine für uns unerwartete Wendung«, fuhr der Oheim fort, und Albrecht konnte in seinem Gesicht ablesen, dass es für die beiden Brüder eine durchaus willkommene Wendung darstellte. Unbehaglich fragte er sich, was das sein könnte, doch er musste nicht lange warten, um eine Antwort zu erhalten. Sein Vater zog ein Pergament mit einem gebrochenen Siegel hervor und reichte es seinem Sohn. Lies das! Es hat uns vor einer Stunde durch einen Boten erreicht.«
Albrecht nahm das Schreiben mit spitzen Fingern, als
könnte eine Viper darin verborgen sein, und so kam es ihm irgendwie auch vor. Es gab durchaus Worte, die ebenso tödlich waren wie das Schlangengetier mit seinen Giftzähnen. Zuerst betrachtete er das Siegel und stieß überrascht einen Laut aus, als er das Wappen der Edlen von Brunn erkannte.
»Von Bischof Johann?«, rief er. Die beiden älteren Männer nickten.
»Ja, von Johann II. von Brunn persönlich.«
»Und er schreibt an mich?«, versicherte sich Albrecht, in höchstem Maße erstaunt.
»An die Familie von Wertheim, aber auch an dich, mein Sohn«, bestätigte Hans von Wertheim. »Und nun lies!«
Albrecht trat näher an die Lampe an der Wand und ließ den Blick über die Zeilen schweifen. Dann las er das Schreiben noch einmal Wort für Wort, um sicherzugehen, dass er nichts missverstanden hatte. Endlich ließ er das Blatt sinken und sah zu seinem Vater und dem Oheim, die sichtlich prächtiger Laune waren.
»Was schaust du so, Sohn? Gibt es etwas, das du in diesem Brief nicht verstanden hast?«
Albrecht nickte. »Ja, allerdings: das Warum! Was für einen Vorteil kann er sich davon versprechen? Falls er wirklich für den Tod meines Bruders
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