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Das Archiv

Das Archiv

Titel: Das Archiv Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Frank
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vor der Pißrinne derart düstere Gedanken ausplauderte. Doch, wie schon gesagt, niemand beobachtete auch nur Bills Gehabe in diesen ungemütlichen Jännertagen des Jahres 1976.
    Er hatte Zwinker-Erich wieder getroffen, seinen alten Schulfreund, der das Paket Papier, es waren weitere Übersetzungen von Rossmaneks Stenografien, lustlos besah. Bills Gesicht war grau und müde wie das eines Menschen, den nichts mehr interessieren konnte. Und das sagte er auch seinem alten Freund. »Weißt du, ich hab’ einen Fehler gemacht. Schlafende Hunde soll man nicht wecken, und wem nützt das schon, wenn ich herauskriege, warum mein Freund abgemurkst worden ist. Wem nützt das schon? Herbert wird nicht lebendig davon, und mir hilft es auch nicht. Herr Wirt, noch zwei doppelte Rum! Versteh’ mich, Erich, in hab’ keine Kinder, meine Frau hat mich verlassen, das Leben hat keinen Sinn mehr für mich.« Ängstlich flatterten Erich Kilians Augen, er sah das Geschäft seines Lebens gefährdet. »Bist du total vertrottelt …«, warf er ein, aber Bill ließ sich nicht unterbrechen: »Schau, wir haben uns schon als Kinder gekannt. Ein Mann muß wissen, wann der Gong zur letzten Runde schlägt. So sagt man drüben, in den Staaten. Schau Erich, ich bin hier nicht mehr zu Hause, und drüben war ich’s nie.« Erich zwinkerte. Natürlich waren die Gläser schon wieder leer. »Herr Wirt, noch zwei Doppelte! Versteh’ mich richtig, Erich, du bist mein ältester Freund, der einzige Mensch, den ich noch habe.« Die Stimme schwankte. »Du wolltest mir helfen, diesen alten Kram da«, er bewegte seinen Ellenbogen in Richtung der Papiere, »diesen alten Dreck hast du entziffert. Was kommt heraus? Wen interessiert das noch? Mich nicht mehr, mich interessiert überhaupt nichts mehr!« Er nahm einen kräftigen Schluck. »Aber dein Schaden soll’s nicht sein, hier« – er legte fünf Tausender auf den Tisch –, »das bin ich dir schuldig, will niemandem was schuldig bleiben, solange ich lebe. Herr Wirt.« Handbewegung zu seinem leeren Glas. Zwinker-Erichs Glas war noch unberührt, und das war ungewohnt.
    »Ja, ja, Erich, Alter, ich versteh’ dich schon. Du hast gearbeitet für mich, jetzt ist’s plötzlich aus, ich versteh’ dich schon. Schau, mehr Geld kann ich dir nicht geben! Was mit dem Rest der Stenogramme gesehen soll? – Ha, schmeiß sie weg! Du meinst schade? Nicht für mich, bei mir ist der Ofen aus. Die Codeverzeichnisse?« Kichernd fischte Bill ein Notizbuch Rossmaneks aus der Hosentasche. Es war das mit den Codewörtern. Das andere mit den Klarnamen behielt er. »Hier, hatte ich schon vergessen. Wen interessiert das noch? Du mußt wissen, bei mir ist Sense, ich mach’ Schluß, früher oder später. Eher früher. Schluß mit dem Leben. Herr Wirt!« Lässig steckte Kilian das Notizbuch ein, seine Augen zwinkerten unaufhörlich. »Schon gut, Willi, schon gut«, sagte er beschwichtigend. Was für ein Scheißkerl er ist, dachte er. Sein Freund stirbt, seine Alte rennt ihm davon. Und das schmeißt ihn gleich um, diesen Schwächling. Der große, starke Willi Weiss. Alkohol verträgt er auch nicht. Wie er nur aussah, ein Wrack, ein Selbstmordkandidat.
    »Ich geh’ jetzt, Alter«, sagte er. »Nimm’s nicht tragisch, das sind Stimmungen, ich kenn’ das auch. Das geht vorüber. Ich muß mich nach was anderem umsehen, wenn bei dir nichts mehr zu verdienen ist.«
    Bills lahmes Protestieren half nichts. Zwinker-Erich ging, das Notizbuch in der Hosentasche, auch die Übersetzungen hatte er wieder eingesteckt. Womöglich sollte er noch Mitleid haben mit Willi Weiss, dem großartigen Willi, dem Fußballstar und Frauenhelden. Soweit käme es noch! Wer hatte Mitleid mit ihm, all die Jahre? »Servus«, sagte er, es klang wie ein Gnadenschuß. Bill sah ihm nach. Er grinste.

 

    XIX
    Bill hatte sich bald Klarheit verschafft, Klarheit über das Archiv. Denn die Papiere im Banksafe waren nicht stenografiert, waren keine Geheimschrift in Gabelsberger-Russisch. Es waren sauber getippte Schreibmaschinenseiten und Fotokopien von Akten. Bei diesen Fotokopien lag ein Begleitschreiben. Bill ersah daraus, daß ein Herr Oflazian aus Beirut seinem »alten Freund Rossmanek« die sogenannten »Venedig Papiere zur Kenntnis und entsprechender Auswertung« übermittelt hatte. Bill verstand. Oflazian, das war der Name, nach dem ihn Polizeirat Hammerlang gleich zu Beginn gefragt hatte. Der Brief war zwei Jahre alt, Bill las weiter: Nach Ansicht des Schreibers

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