Das Areal: Thriller (German Edition)
ommst du nicht. Du hast Schüttelfrost. Wenn du jetzt einschläfst, wachst du vielleicht nie mehr auf. Dein Körper muss sich entspannen.«
Schon wieder die Erste-Hilfe-Ausbildung. Er versuchte sich zu erinnern, ob man bei einem Schock Schmerzmittel geben sollte oder besser nicht. Doch es fiel ihm nicht ein, und außerdem war er zu schwach, um sich mit ihr zu streiten. Ghost riss die Verpackung einer Einmalspritze auf, befestigte die Nadel an einer durchsichtigen Plastikröhre, die an eine Zahnpastatube erinnerte, eine Syrette, gefüllt mit gelblicher Flüssigkeit. Sie stach die Nadel in Turners Handgelenk und injizierte ihm behutsam das Mittel.
Ein schwaches, besorgtes Lächeln spielte um ihre Lippen, dunkle Haarsträhnen hingen ihr wie Schatten ins Gesicht, und unter ihm öffnete sich eine große, dunkle Wärme. Als er beglückt hineinsank, fragte er sich, was wohl mit ihrer Familie passiert war.
28
A ls Turner erwachte, war es dunkel in der Wohnung. Ein schwacher Lichtschimmer fiel durch die Fenster, gelborange und unstet. Er ging einher mit einem fernen Geräusch, einem animalischen Heulen, verzerrt und schwankend. Er lag noch auf dem Sofa, gehüllt in die schale Wärme des Federbetts, die Muskeln verspannt, aber ohne Schmerzen. Seine Seite war taub wie Holz, sein Mund so trocken wie Sägemehl. Er hatte rasenden Durst und einen Schädel voller Bleiplatten. Er hielt nach einem Glas Wasser Ausschau und entdeckte ein leeres auf dem Boden neben dem Sofa. Vorsichtig setzte er sich auf und stützte sich dabei mit den Armen ab, zuckte zusammen, als er ein Ziehen in den Schnittverletzungen an der Schulter spürte, doch den narkotisierenden Nebel in seinem Kopf vermochte der Schmerz nicht zu durchdringen. Behutsam schwenkte er die Beine herum und richtete sich auf wie ein alter Mann, dann bemerkte er, dass er, abgesehen von dem sauberen Verband an seinem Bauch, splitternackt war. Seine blutgetränkte Kleidung war verschwunden. So war es wohl am besten. Auf der Sofalehne lag ein Handtuch. Er schlang es sich um die Hüfte und verknotete es.
Er torkelte zur Spüle. Seine Beine waren wie aus Gummi. Er ließ das Glas volllaufen, leerte es in einem Zug und füllte es gleich wieder. Vom kalten Wasser bekam er Bauchknurren, und er verspürte eine leichte Übelkeit, gegen die die Medikamente nichts ausrichten konnten. Er hatte gerade das zweite Glas geleert, als sich die Schlafzimmertür öffnete. Ghost sagte: »D u bist auf. Wie fühlst du dich, Turner?«
»A ls hätte sich irgendetwas Schreckliches in meinem Kopf eingenistet«, krächzte er. »U nd das scheißt mir jetzt in den Bauch. Mir geht’s gar nicht gut.«
»D as kommt von den Medikamenten. Tut mir leid.« Sie trat näher, betastete die Verbände wie eine Krankenschwester. Er wusste nicht, ob sie das irgendwo gelernt hatte, hatte aber den Eindruck, sie mache ihre Sache gut. »D as ist wie ein Kater. Wenn du dich betäubst, fühlst du dich am nächsten Morgen beschissen.«
»D anke für das Handtuch«, sagte er.
»D eine Sachen waren blutig. Ich hab mir gedacht, du willst bestimmt keine schmutzigen Sachen anziehen, wenn du zu dir kommst. Außerdem könnte sich die Verletzung entzünden. Wenn es hell ist, besorge ich dir was Neues. Heute hatte ich keine Zeit, war damit beschäftigt, dir Medikamente zu besorgen.«
»W ie lange war ich weg?«
»E twa sechsunddreißig Stunden. Komm mit. Ich muss dir was zeigen. Hast du schon mal die Hunde gesehen?« Sie zog ihn von der Spüle weg.
»W as für Hunde?« Achselzuckend schwankte er Ghost hinterher, die am Fenster stehen geblieben war.
Auf der anderen Straßenseite schnüffelte ein halb verhungerter Labrador im Rinnstein. In der tiefen Dunkelheit funkelten Dutzende gelber Augen. Warteten ab, ob ihr Kundschafter etwas entdeckte, erst dann würden sie auf der Bildfläche erscheinen. Ein unheimlicher Anblick. In der Nähe stand ein überquellender Müllcontainer, und Turner fragte sich unwillkürlich, ob sich seine blutige Kleidung darin befand.
»D ie Leute halten Hunde entweder als Haustiere oder als Wachhunde«, sagte Ghost leise. »A ber wenn sie sich den Unterhalt nicht mehr leisten können oder wenn die Tiere zu alt geworden sind, setzen sie sie aus. So geht das schon seit Jahren. Hier draußen finden sie genug, um zu überleben und sich fortzupflanzen. Nachts streunen ganze Rudel jagend umher. Sie haben keine Angst vor Menschen und greifen sie an, wenn sie glauben, leichte Beute vor sich zu haben. Wie tollwütige
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