Das Arrangement
wenig von ihren Sorgen um Gramma Jo ablenken. Andrew musste schon vor Morgengrauen auf gewesen sein. Als sie aufwachte, war er schon fort gewesen, hatte ihr jedoch eine eindringliche Nachricht hinterlassen, dass sie nicht nach ihrer Großmutter suchen solle. Er war immer noch um Marnies Sicherheit besorgt und hatte ihr versprochen, die Suche in die Hand zu nehmen. Entweder würde er ihre Großmutter selbst aufspüren oder einen Privatdetektiv engagieren.
Es war nicht einfach, aber Marnie beschloss, ihm zu vertrauen. Um ihre eigene Sicherheit war sie nicht halb so besorgt wie um das Wohlergehen von Gramma Jo, aber sie wollte seine Bemühungen nicht untergraben – oder riskieren, dass Julia durch zu viel Aufruhr misstrauisch wurde.
Julia brachte ein Tablett mit dem Wein und ein paar Appetithäppchen von dem kleinen Buffet, das die Geschäftsführung der Boutique in ihrem vornehmen privaten Ankleidezimmer aufgebaut hatte. Es besaß beinahe die Größe eines Apartments und bot neben einer eigenen Küchenzeile mit Kühlschrank und Mikrowelle auch ein kleines Bad. Marnie konnte es gar nicht fassen. Sie war in einem Haus aufgewachsen, das kleiner war als dies hier – und nicht einmal annähernd so gut ausgestattet.
“Macht das nicht Spaß?”, sagte Julia, während sie das Tablett zwischen ihnen auf die Couch stellte. “Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass wir ein paar Sachen für dich gefunden haben, die dir passen. Aber wirklich, meine Liebe, es wurde Zeit für eine völlig neue Garderobe. Andrew hätte dir dabei helfen sollen, bevor ihr hierhergekommen seid. Sieh dich doch an.” Sie schüttelte den Kopf bei Marnies Anblick. “Dir macht das Shoppen gar keinen Spaß mehr.”
“Mir geht es gut.” Marnie nippte an ihrem Rotwein und seufzte. Köstlich. Wirklich. An so etwas könnte sie sich gewöhnen. Vielleicht nicht ans Einkaufen, aber dieser Wein, die Appetithäppchen und die gemütlichen mit Samt bezogenen Polstermöbel.
Es war ein komisches Gefühl, in ihrer Unterwäsche herumzusitzen, aber das Geschäft hatte ihnen Seidenkimonos zur Verfügung gestellt, die sie trugen, bis Rebecca mit den anderen Größen zurückkam. Normalerweise hätte das eine der Modeberaterinnen der Boutique übernommen, aber Rebecca hatte sich angeboten.
Private Ankleideräume waren etwas Neues für Marnie, so wie die meisten Erfahrungen, die sie bisher als eine Fairmont gemacht hatte. Doch sie lernte sich an Alisons Leben zu gewöhnen, indem sie zurückhaltend blieb, alles gut beobachtete und sich an Julia hielt. Wenn Julia das gepunktete Capri-Outfit an ihr mochte, dann wählte Marnie dieses. Wenn sie meinte, ein bestimmtes Kleid benötige noch ein paar Änderungen, stellte sich Marnie willig auf den Ankleidestuhl, ließ an sich Maß nehmen und drehte sich in besagtem Kleid hin und her, um es abstecken zu lassen.
Nur nicht auffallen. Daran war Marnie gewöhnt. Das hatte sie fast ihr ganzes Leben lang versucht, allerdings auf eine andere Art, nicht als einer ihrer Feinde getarnt.
“Macht es dir denn ein bisschen Freude?”, erkundigte sich Julia.
Ein solch hoffnungsvoller Unterton schwang in Julias Stimme mit, dass es Marnie nicht allzu schwerfiel, zu lächeln und die Frage zu bejahen. “Es hat mir gefehlt, eine Mom zu haben, mit der man shoppen gehen kann.”
Marnie hatte eigentlich bei dem Wort “Mom” an ihre Großmutter gedacht, aber hätte sie “Mutter” sagen sollen? Benutzten die Fairmonts denn überhaupt Worte wie “Mom”? Überraschenderweise schien Julia gerührt zu sein. Sie versuchte es durch ein Lachen zu überspielen, doch das Glänzen in ihren Augen sah verdächtig nach Tränen aus.
“Ich glaube, so was hast du noch nie zu mir gesagt”, erwiderte sie leise.
Marnie wusste nicht so recht, was sie tun sollte. Julia setzte ihr Weinglas ab und versuchte, wieder Haltung anzunehmen. Aus einem Impuls heraus sprang Marnie auf und umarmte sie, bevor Julia aufstehen konnte.
Marnie wollte sie nur beruhigen. Es fiel ihr schwer, mit anzusehen, wenn sich jemand in einer unangenehmen Situation befand, wahrscheinlich weil sie selbst das zu gut kannte. Aber Julia klammerte sich an sie, und Marnie hatte keine Ahnung, wie sie sie trösten sollte, außer indem sie sie einfach weiter festhielt. Es war so merkwürdig. Im Arm des Feindes spürte Marnie tatsächlich einen Moment so etwas wie echte Sorge einer Mutter um ihre Tochter. Julia schien Alison wirklich zu lieben.
Diese Erkenntnis berührte Marnie,
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