Das Arrangement
stand, war anders. Ihre Ängste waren nicht gespielt, sie wirkten glaubhaft. Himmel, sie gingen ihm ans Herz. Und wenn sie zusammenbrach, so wie jetzt, schaffte sie es irgendwie, ihn zu berühren, egal wie sehr er sich auch dagegen wehrte.
Deshalb war er auch stets bemüht, ihr aus dem Weg zu gehen.
Während er wartete, dass sie sich wieder fing, bemerkte er plötzlich, dass sie ihre Aufmerksamkeit schon längst auf etwas anderes gerichtet hatte. Der Teller mit seinem Frühstück, das er nicht angerührt hatte, stand direkt hinter ihr auf der Anrichte. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, wie sie einzelne Fruchtstücke stibitzte und verschlang wie ein verhungerndes Kind. Er war sich nicht sicher, ob ihr überhaupt klar wurde, was sie da tat.
Er drehte sich zu ihr um und überraschte sie dabei, wie sie drei Stück einer Orange auf einmal in den Mund steckte. Als er sie ansah, erstarrte sie mitten in der Bewegung. Ihr schienen die Knie weich zu werden. Ihre Wangen röteten sich, und sie schluckte angestrengt, offensichtlich alle drei Stück in einem hinunter.
“Alison? Wenn du Hunger hast …”
“Nein, habe ich gar nicht. Manchmal vergesse ich mich einfach, wenn ich in Panik bin.” Wieder bekam sie diesen ängstlichen Blick. “Siehst du? Siehst du's jetzt? Ich bin noch nicht bereit.”
Er sah es, doch das änderte nichts. Sie mussten gehen. Julia machte nach vier Jahren des Schweigens ein Friedensangebot. Alisons Unfall war der Auslöser für Julias Einlenken. Sie wollte ihre einzige Tochter sehen, das Kind, das sie fast verloren hätte, aber es steckte noch viel mehr dahinter. Sie hatte beide eingeladen, nach Sea Clouds zu kommen, das Familiengefängnis der Fairmonts hoch auf den Klippen über Mirage Bay.
Die mediterrane Villa mit den drei Ebenen gehörte der Familie schon seit Generationen, war aber hauptsächlich als Ferienhaus genutzt worden, in dem man dem harten Winter an der Ostküste entfloh. Nachdem Julias Ehemann Grant gestorben war, hatte sie begonnen, mehr Zeit in Sea Clouds zu verbringen, und inzwischen war es ihr ständiger Wohnsitz.
Andrew brauchte diese Gelegenheit. Wenn Julia ihre Einladung wieder zurückzog, würde er womöglich nie wieder die Möglichkeit bekommen, ihr Haus zu betreten, in den inneren Kreis der Fairmonts vorzudringen – von denen einer, so vermutete er, versucht hatte, ihn zu Fall zu bringen.
Andrew benutzte den kleinsten der vielen Schlüssel an seiner Kette, um die Schublade aufzuschließen. Darin lag eine sechs Monate alte Ausgabe der lokalen Zeitung von Mirage Bay, die er gestern in seinem Postfach gefunden hatte, zusammengerollt und in einer Plastikhülle. Er ließ sich die Zeitung seit Alisons Unfall zuschicken, doch diese Ausgabe war nicht als Abonnementservice vom Verlag gekommen. Die hatte ihm jemand persönlich zukommen lassen. Jemand, der ihn provozieren wollte.
Er entrollte das Blatt und legte es auf die Ablage. Alison war gerade wutschnaubend aus seinem Zimmer gelaufen, und er erwartete sie nicht so schnell zurück, trotzdem verschloss er vorsichtshalber die Tür. Wenn sie das sah, würde er sie nie ins Flugzeug nach Südkalifornien bekommen. Die Ausgabe war vom dritten Februar, und der Aufmacher war Alisons geheimnisvolles Verschwinden von der Bladerunner. Der Artikel war von demjenigen, der ihm das Blatt geschickt hatte, mit Markierungen versehen worden. Einzelne Worte waren mit Filzstift eingekreist und ergaben zusammen eine ominöse Nachricht, die ganz offensichtlich an Andrew gerichtet war.
Weiß, was Sie getan haben. Die Polizei wird es auch bald erfahren. Diesmal kommen Sie nicht davon.
Wie viel ist Ihnen das Geheimnis wert?
Das sah sehr nach einer Erpressung aus, doch der Absender hatte keine Kontaktadresse angegeben. Andrew konnte es sich nicht leisten, die Sache einfach abzutun. Er hatte jede Menge zu verbergen, und es stand zu viel für ihn auf dem Spiel. Der Absender schien das zu wissen.
Er nahm die Plastikhülle, in der die Zeitung verpackt gewesen war, und sah sich das Postetikett genauer an. Es war kein Verlagslogo darauf, was seine Theorie bestätigte, dass es von einer Privatperson stammte. Wenn es sich nicht um eine Erpressung gehandelt hätte, hätte er schwören können, dass Julia Fairmont dahintersteckte. Es konnte kein Zufall sein, dass ihre Einladung fast zur gleichen Zeit eingetroffen war wie diese Zeitungsnachricht, und sie hatte mehr Grund als alle anderen, ihn aus dem Weg zu schaffen.
Er hatte sich zwischen sie und ihre
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