Das Aschenkreuz
«Ihr wollt mir doch nicht im Ernst anhängen, dass ich mit diesen Morden irgendwas zu tun hätte?»
Vor Wut und Empörung hatte ihre Stimme zu zittern begonnen, und Nidanks Lächeln wurde noch breiter.
«Das wird sich herausstellen, Schwester Serafina», entgegnete er mit sanfter Stimme. «Kommenden Freitagmittag wird Barnabas peinlich befragt werden. Und zwar in aller Schärfe. Da wird die Wahrheit schon ans Licht kommen.» Er tauschte einen Blick mit Pfefferkorn aus. «Ich für meinen Teil wäre zum Ende gekommen. Wie steht es mit dir, Pfefferkorn?»
Der Kaufherr räusperte sich. Er wirkte plötzlich wie ein verhärmter alter Mann, unglücklich und des Lebens überdrüssig. Genau wie am Todestag seines Sohnes. Serafina fragte sich, ob er schon immer so schlohweißes Haar gehabt hatte.
«Ich habe dem nichts hinzuzufügen», bemerkte Pfefferkorn leise.
Nidank gab dem Schreiber ein Zeichen. «Somit ist diese erste Befragung der Begine Serafina Stadlerin beendet.»
«Was soll das heißen – erste Befragung?», stieß Serafina hervor.
«Soll heißen, dass Ihr die Bannmeile unserer Stadt vorerst nicht überschreiten dürft und Euch uns Heimlichen Räten zur Verfügung stellen müsst. Am Freitag werden wir dann sehen, ob eine weitere Befragung notwendig wird. Je nachdem, was dieser Barnabas aussagt.»
Das war zu viel: «Ihr begeht einen Fehler, Ratsherr Nidank! Und Ihr erst recht, Ratsherr Pfefferkorn. Habt Ihr etwa schon vergessen, dass ich Eurer ehelichen Hausfrau Trost und Beistand geleistet habe, dass ich mit ihr um das Seelenheil Eures Sohnes gebetet habe? Wie könnt Ihr nur so auf dem Holzweg sein? Denkt lieber einmal darüber nach, welche Verbindung zwischen den beiden Morden besteht. Die ist doch mehr als offensichtlich. Oder habt
Ihr
…» Sie wandte sich an Nidank und warf ihm einen glühenden Blick zu. «… vielleicht gar Eure Gründe,
nicht
darüber nachzudenken?»
Nidanks Augen verengten sich zu Schlitzen. «Noch ein Wort, und ich lasse den Büttel holen!»
Entschlossen ging er zur Tür, riss sie auf und bedeutete Serafina, die Amtsstube zu verlassen. Der Gerichtsdiener, der draußen gewartet hatte, brachte sie wortlos hinaus.
Serafina kam gerade bis zum Nachbarhaus der Kanzlei, als sie spürte, wie ihr die Knie weich wurden. Sie lehnte sich gegen die Hauswand und versuchte, ruhig durchzuatmen.
Wer weiß, was Barnabas aussagen würde, wenn ihm erst die Schrauben ins Fleisch gedreht oder die Knochen aus den Gelenken gerissen wurden. Wahrscheinlich würde er alles bestätigen, was Nidank hören wollte – und sie konnte ihm das nicht einmal verdenken.
Ihr lief ein Schauer über den Rücken. Wenn ihr eines klar geworden war nach dieser Vorladung, dann, dass sich der Wind gedreht hatte und ihr jetzt eiskalt ins Gesicht blies. Mehr denn je drängte die Zeit, und wie es aussah, galt es nun, nicht nur Barnabas’, sondern auch ihre eigene Haut zu retten.
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Kapitel 26
D as Wetter hatte gegen Morgen umgeschlagen, und jetzt regnete es in Strömen. Serafina fühlte, wie die Nässe durch ihren Umhang drang und sie zum Frösteln brachte. Dazu war sie zum Umfallen müde, denn sie hatte in der vergangenen Nacht kaum Schlaf gefunden. Zu sehr hatte sie diese Unterredung mit den Heimlichen Räten aufgewühlt.
Gleich nach dem Aufstehen hatte sie Gisla in der Schneckenvorstadt aufgesucht, um sich von ihr eine Kräuterrezeptur gegen Brandwunden geben zu lassen. Besorgt hatte die alte Frau sie gefragt, ob sie sich krank fühle, so schlecht, wie sie aussehe, und Serafina war nahe daran gewesen, ihr von der Vorladung zu berichten. Aber zwischen ihr und der Meisterin war vereinbart, Stillschweigen über die Sache zu bewahren, und daran musste sie sich halten. Sogar gegenüber den Mitschwestern sollte sie kein Wort darüber verlieren.
Es waren nur wenige Menschen unterwegs bei diesem Hundewetter, doch nachdem sie das Untertor durchquert hatte, kam ihr ausgerechnet Pater Blasius entgegen. Die Begegnung mit ihm hatte ihr gerade noch gefehlt an diesem Morgen. Zu ihrer Erleichterung schien er sie nicht zu erkennen, und im Eilschritt war er auch schon an ihr vorbei.
«Schwester Serafina?»
Wie vom Donner gerührt blieb sie stehen und fuhr herum. Das Schicksal hatte also doch kein Einsehen gehabt.
«Pater Blasius!» Sie rang sich ein Lächeln ab. «Auch unterwegs bei diesem Mistwetter?»
Der Wilhelmit lächelte zurück.
«Nur der Kleinmütige bemängelt das Wetter.» Seine klangvolle Stimme
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