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Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Das Auge der Dunkelheit (German Edition)

Titel: Das Auge der Dunkelheit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Dekkard
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geschnitzte Fratzen. Ich weiß es. Und ich weiß, es ist hier.“
„Das ist doch völliger Irrsinn. Selbst wenn! Wie wollen Sie den einen Baum finden? Woher wollen Sie wissen, ob er überhaupt noch steht?“
„Still!“, sagte Leonard plötzlich.
Eines der Geräusche hatte die Nacht überdauert. Das metallische Singen glaubte er immer noch zu vernehmen. Und auch Nini hörte es. Keine Einbildung. Nahezu gleichzeitig wandten sie sich dem jenseitigen Ufer des Flusses zu.
„Es ist ganz in der Nähe.“
„ER ist es“, flüsterte Nini. „Wie in Bagen, in der Nacht.“
„Lasst uns gehen. Sie werden uns töten.“
Manaos Warnung verpuffte wirkungslos. Leonard durchschritt bereits das knöcheltiefe Wasser und Nini folgte ihm. Einen leisen Fluch auf den Lippen setzte Manao hinterher, bevor das dichte Grün des jenseitigen Ufers die beiden verschluckte. Das metallische Singen verstärkte sich, umgab sie von allen Seiten, schallte aus der Höhe, wandelte sich zu drohenden Tönen. Aus den Wipfeln floss feiner Nebel herunter, umhüllte sie wie ein Leichentuch.
„Das Reich der Toten!“
Manao unterdrückte einen Aufschrei. Sein Kopf war gegen ein korbartiges Gefäß gestoßen, das von einem Ast herunterhing. Aus dem groben Netz stierte ihn ein menschlicher Schädel an und seine gelben, zerbrochenen Zähne sangen das metallische Lied. Die Eingeborenen hatten ein hauchdünnes Kupferblättchen im Schädelinnern befestigt. Der leiseste Windhauch brachte es zum Schwingen und erzeugte diesen jammernden Klang. Überall um sie herum hingen Schädel, zwischen den Ästen zu makabren Girlanden gebunden.
„Der Eingang zum Friedhof“, vermutete Leonard. „Diese heulenden Schädel sollen jeden davon abhalten, ihn zu betreten.“
Die körperlosen Wächter erfüllten ihren Zweck bei den beiden anderen.
„Wir müssen umkehren“, drängte Manao.
Aber er sah, wie die Seele des Engländers brannte. Keine noch so große Gefahr würde ihn davon abhalten, weiterzugehen. Das Feuer in den grünen Augen loderte noch stärker, als sie den ersten der Baumriesen sahen. In die Rinde eingeritzt eine simple Totenmaske, von einer rechteckigen Linie umrandet. Das Holz war noch nicht verheilt. Ein frisches Grab.
„Sie höhlen den Stamm nur so weit aus, dass der Baum nicht abstirbt. Es wächst wieder zusammen. Unglaublich.“
Vorsichtig, jedes unnötige Geräusch vermeidend, schlichen sie zwischen den massigen Stämmen umher. Jeder zweite trug die primitiven Schnitzereien. An einem der Bäume hing ein geflochtener Korb, darin ein Gebilde aus Metall und Glas. Das Holz, das es einst umschlossen hatte, war längst verrottet. Die Überreste einer Balgenkamera! Easton Collingwood, der letzte der Getreuen , hatte ebenfalls in dieser Hölle seinen Tod gefunden. Aber wo lag Conley?
„Es ist zwecklos“, flüsterte Manao. „Sie können ihn nicht finden. Wir müssten jeden einzelnen öffnen.“
Taub für die Töne der Lebenden hetzte Leonard zwischen den Gräbern umher. Es musste hier sein. Verzweiflung packte ihn. Er dachte, er würde es erkennen, wenn er davor stand, das Auge der Dunkelheit selbst würde es ihm zeigen. Aber ER schwieg. Die einzigen, die es ihm hätten verraten können, waren wieder in den Tiefen des unendlichen Blättermeeres verschwunden. Leonard drehte sich mehrmals um die eigene Achse, die Arme erhoben. Dann stoppte er mitten in der Bewegung.
„Was ist das da?“
Zwischen den Baumgiganten ragte ein Pflanzengebilde auf. Es besaß den gleichen Durchmesser wie die Bäume. Man brauchte drei oder vier Mann mit ausgebreiteten Armen, es zu umfassen. Blattbewehrt in wilden Verschlingungen türmte es sich aber nur drei Meter hinauf und fiel am oberen Ende wie ein grüner Wasserfall wieder zu Boden.
„Eine Ranke“, antwortete Manao. „Nichts besonderes.“
„Was ist darunter? Es hat den gleichen Umfang wie all die Riesen hier. Ist aber nicht annähernd so hoch.“
In wachsender Unruhe zerschlug Leonard mit einer Machete die Ranke, legte ein Stück tiefschwarzes Gehölz frei.
„Es ist der Rest eines Baumes. Uralt. Fast versteinert.“
Wild drosch er mit der Machete, fetzte Verästelungen herunter, bis er eine ausreichend große Lücke herausgeschlagen hatte. Man hatte den Baum, den die Ranke umschlang, einst in drei Meter Höhe abgeschlagen, statt ihn, wie üblich, dicht über dem Boden zu fällen.
Wozu hatte man sich die Mühe gemacht?
Die Antwort gab das tote Holz. Dieser Baumstumpf trug ebenfalls ein Gesicht. Doch

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