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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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trieben. Unter ihnen Landen.
    Er beobachtete, wie die Schankstuben sich mit unzufriedenen Bürgern füllten. Wahrscheinlich würden viele der Männer bald ihrer Enttäuschung Luft machen und in den schmalen Gassen aufeinander einschlagen und sich mit heißem Punsch und billigem Schnaps benebeln. An so einem Abend war es nicht ratsam, Bekanntschaften zu machen, wollte man nicht eine gespaltene Lippe, eine gebrochene Nase oder noch Schlimmeres in Kauf nehmen. Obgleich manche Freundschaften, die bei einer solchen Gelegenheit geschlossen wurden, ein Leben lang hielten. Landen zögerte und hörte das aufgebrachte Geschrei der Leute. Am liebsten hätte er selbst irgendetwas unternommen, um das Lachen des jungen Kriegers zu vergessen, der den Tod unterschätzt hatte. So schlenderte er bei Sonnenuntergang durch die Straßen und hätte sich gern einer der lärmenden Gruppen am Eingang einer Schankstube angeschlossen. Nein, dafür war jetzt nicht die richtige Zeit. Morgen wollte er sich als Söldner beim König verdingen, wenn sie ihn überhaupt nehmen wollten. Da sollte er besser nicht mit blauen Flecken auftauchen. Er suchte seinen
    Gasthof auf und verbrachte den Abend allein und überlegte sich einen passenden Namen für sein neues Leben in Desante.
    Am Morgen suchte er den Stallburschen auf und erkundigte sich, wo er sich melden musste. Dann ritt er zwischen übermüdeten Menschen zum Truppenübungsplatz der königlichen Streitkräfte.
    Wieder bin ich ein Fremder in der Fremde. Ich möchte mich einem König verdingen, mit dem mich nichts verbindet. Da er im Besitz von Schwert und Bogen war, wurde er sofort zu einem Hauptmann vorgelassen. Dieser forderte ihn auf, seine Kenntnisse im Umgang mit allerlei Waffen vorzuführen. Mühelos demonstrierte er sein Können und antwortete, nach seinem Namen gefragt: „Bellanes." Dieser Name kam ihm so selbstverständlich über die Lippen, als sei er schon als Königssohn damit auf die Welt gekommen. Er behauptete, aus Guelhan, einer entlegenen Provinz Desantes zu stammen, die so weit entfernt war, dass seine Fremdheit in der Stadt glaubwürdig erschien.
    Zur Zeit herrsche Frieden, erfuhr er. König Ardesen habe gerade ein umfassendes Friedensabkommen mit König Dahmis, dem mächtigen Herrscher Glavenrells, auch Oberkönig genannt, unterzeichnet. Seine Waffenkünste dienten also der Erhaltung des Friedens, so lange kein Krieg ausbrach. Der Sold betrug einen Raschu jährlich und wurde in monatlichen Raten ausgezahlt, dazu kamen Unterkunft und Verpflegung.
    Er erhielt eine lederne Rüstung und wurde einer Truppe zugewiesen, die von einem Hauptmann Hadnell befehligt wurde, der einen aufrechten Eindruck machte und Landen an Emid erinnerte. In dieser Truppe absolvierte er seine Ausbildung, die der Bekämpfung von Verbrechern und dem Schutz der Bürger diente.
    Einige Tage später stand Landen im eisigen Wind beim Morgenappell vor Hauptmann Hadnell, der die Reihen seiner Krieger abschritt.
    „Es gibt Neuigkeiten, die vielleicht unser Königreich betreffen", verkündete dieser.
    Aufrecht standen die jungen Männer da und warteten gespannt. Ihr Hauptmann neigte nicht zu Übertreibungen.
    „Ihr wisst, dass im Westen, hinter den Bergen, unser Nachbarland Archeld liegt", fuhr Hadnell fort. Landen horchte auf. „Vor zehn Tagen wurde König Kareed, Herrscher von Archeld, mit einem vergifteten Stilett ermordet."
    So bald! Mit dem gequälten Frohlocken eines Kindes vernahm Landen die Kunde von dieser ausgleichenden Gerechtigkeit. Der Mörder seines Vaters endlich tot! Das Leben Kareeds war mit einem Schlag beendet worden, so wie er selbst viele Leben beendet hatte. Doch dann dachte er daran, dass Kareed ihn hatte lernen lassen, in einer Welt wie dieser zu überleben. Ohne seine Ausbildung wäre er verloren. Und Kareed war ihr
    Vater! Wenn Kareed tot war, musste Vesputo am Leben sein. Wie konnte sie das ertragen? Er erinnerte sich an ihr gramvolles Gesicht bei ihrer letzten Begegnung. „Der Mörder ist entkommen, niemand weiß wohin", erzählte der Hauptmann weiter. „Seine Beschreibung würde auf viele unter euch passen!" Seine Augen verengten sich und er zuckte die Achseln. „Ein großer, junger Mann mit dunklem Haar, der sich mit Waffen und Pferden gut auskennt." Ein allgemeines Kichern war zu hören „Vermutlich wird der junge Mann versuchen, sich als Bogenmacher niederlassen." Landen dankte seiner Voraussicht, sich seiner selbst gefertigten Waffen entledigt zu haben.
    „Sein Name ist

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