Das Auge der Seherin
kann", sagte Bellanes beruhigend. Und zu Dahmis gewandt: „Mein Herr, ich weiß, Eure Zeit ist kostbar. Sagt, was Ihr von uns wollt."
Dahmis richtete seine Worte an die ganze Bande. „Der Rat der Könige hat sich getroffen und geht davon aus, dass die Sliviiter zuerst die Küste von Archeld angreifen werden, dort wo früher Bellandra lag. Alle Verbündeten haben sich verpflichtet, Truppen dorthin zu entsenden und sich unter das Kommando von Larseid zu stellen. Larseid bricht morgen früh auf. Ich bitte Euch ebenfalls hinzugehen. Eure Künste könnten dort von unschätzbarem Wert sein. Vor allem König Vesputo hat um Eure Teilnahme gebeten."
Bellanes runzelte die Stirn. „So gehört Vesputo jetzt auch zu Eurem Bündnis?" Seine Stimme hatte einen harten Tonfall angenommen. Ja. Er hat sich uns angeschlossen." „So spät?", fragte Bellanes und verschränkte seine muskulösen Arme.
Dahmis seufzte. „Vielleicht ist er nur aus Eigennutz dabei, weil er glaubt, seine Küste sei besonders gefährdet. Seine Späher berichten, die Bellanbucht sei das Hauptangriffsziel der Sliviiter."
Bellanes stand angespannt wie eine Bogensehne. „Mein Herr, verzeiht mir, was ich jetzt sagen werde." „Bitte, sprecht frei."
„Ich und meine Bande werden nicht nach Archeld gehen und Vesputo verteidigen. Und ich bitte Euch, Eure Truppen nicht aus Glavenrell abzuziehen. Die Sliviiter sind kluge Krieger. Die Bellanbucht mag ein mögliches Angriffsziel sein, doch wissen sie bestimmt, dass Glavenrell und Emmedae ebenfalls zahlreiche Buchten haben. Wenn sie herausfänden, dass sie hier den Oberkönig zerschlagen können, ohne auf wesentlichen Widerstand zu treffen, was dann?"
Dahmis trat näher ans Feuer. „Ihr glaubt, die Sliviiter wollen zuerst Glavenrell erobern?"
„Ihr seid die entscheidende Macht unter den Königreichen. Das wird auch ihnen nicht entgangen sein", sagte Bellanes.
„Und die Informationen von Vesputos Spähern? Wenn wir den ersten Angriff gemeinsam abwehren, wird das Bündnis gestärkt daraus hervorgehen." „Sind die Informationen aus anderen Quellen bestätigt worden? Haben Eure Späher dasselbe gesagt?", fragte Bellanes zurück.
„Nein, doch alle sind sich einig, dass die Sliviiter für einen Krieg gerüstet sind und bereits in See stechen." „Falls die Sliviiter doch an Eurer Küste landen, wie wollt Ihr Euch verteidigen, wenn Eure besten Truppen in Archeld stehen?" Bellanes ließ nicht locker. „Ich kann das Bündnis jetzt unmöglich aufgeben! Ich habe mein Wort gegeben! Es spräche gegen alles, wofür ich gekämpft habe."
„Dann, mein Herr, werden meine Männer und ich in Glavenrell bleiben und Euch zur Hilfe kommen, wenn es nötig ist."
Dahmis sah in die stummen, aufmerksamen Gesichter und spürte, dass diese Männer geschlossen hinter ihrem Anführer standen.
Der Oberkönig neigte seinen Kopf und sagte: „Ich danke Euch, Bellanes. Haltet mich über Euer Lager auf dem Laufenden.“
7. Kapitel
Torina arbeitete in ihrem Garten und mühte sich mit den harten, kalten Erdklumpen ab. Kalter Wind blies ihr in das erhitzte Gesicht. Unter dem lästigen Kopftuch war ihr unangenehm heiß geworden. Sie schwitzte unter den matten Strahlen der Frühlingssonne und schlug auf den widerspenstigen Boden ein, als fände sie darin einen Trost für ihre angestauten Gefühle. Seit Wochen hatte sie die Zauberkugel nicht mehr angerührt. Wenn sie sich im Innersten vorwarf, das Bündnis im Stich gelassen zu haben, erschien ihr das Bild von Dahmis und Vesputo, die einander zuprosteten. Heute aber rief der Kristall nach ihr. Ihr Arm prickelte und pochte. Schließlich warf die junge Frau die Schaufel beiseite und rannte in ihre Hütte. Das Auge der Seherin lag in ein Tuch gehüllt auf dem Regal und ihr war, als sehe es durch den Stoff hindurch direkt in ihren Kopf. Schweißtriefend streckte Torina die pochende Hand danach aus. Doch bevor sie den Stein berührte, zuckte sie zurück und ballte ihre Hände. „Nein, nein, nein!", schrie sie und rannte zur Tür. Sie stürzte hinaus und sattelte Justina. Die Stute schien die Stimmung ihrer Herrin aufzufangen und galoppierte in scharfem Galopp über die Wiesen. Torina achtete nicht auf den Weg, aber die schnelle, fließende Bewegung half ihr, sich zu vergessen.
Erst am Spätnachmittag kamen Pferd und Reiterin wieder zum Dorf zurück. Torina war erschöpft und merkte, wie kalt es geworden und wie dünn sie angezogen war. Als sie sah, dass Justina auf Lindsas Haus zusteuerte,
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