Das Auge der Seherin
buschige Augenbrauen zogen sich zu einer einzigen, dicken Linie zusammen.
„Sie hat ihre Haare immer versteckt gehalten, bis jetzt. Wahrscheinlich glaubt sie sich außer Gefahr." Vesputo schloss die Augen und ließ die Nachricht wie Balsam über die Wunde fließen, die der Verlust des Schwertes ihm beigefügt hatte.
„Soll ich nach Desante aufbrechen?" Beron war wie ein Jagdhund, der auf den Befehl zum Angriff wartet. Vesputo lächelte. „Noch nicht, Hauptmann. Du wirst hier gebraucht, bis der Krieg vorbei ist. Ich will den Kristall und ich will die Frau, aber beides zu seiner Zeit und nach meiner Art."
Berons runzelte verständnislos die Stirn. „Wie meint Ihr das, Herr?"
„Den Königen ist bekannt, dass Dahmis sich von einer Wahrsagerin beraten lässt. Auch ihnen hat sie dadurch oft geholfen. Wir verbreiten das Gerücht, sie habe sich vom Oberkönig abgewandt. Dann können wir ihr die Schuld geben, wenn im Kampf mit den Sliviitern Todesopfer zu beklagen sind. Wir werden unter den Soldaten das Gerücht ausstreuen, Dahmis' Seherin hätte den Sliviitern Informationen zugespielt. Dabei kannst du mir helfen, Hauptmann."
Torina sollte Vesputo helfen, ohne jemals davon zu erfahren. Der einzige Haken in seinem Plan, mit den sliviitischen Fürsten zusammenzuarbeiten, war, dass auf ihn ein Verdacht fallen könnte. Niemand durfte auch nur ahnen, dass er es war, der den Sliviitern veriet, welche Bucht am wenigsten geschützt war. Torinas seherische
Gabe machte sie zu einem glaubwürdigen Ziel für den Zorn und die Trauer der besiegten Verbündeten. Sie soll von einem Bannfluch belegt und von niemandem mehr geachtet werden.
Vesputo streckte Beron die Briefe entgegen. „Sorge dafür, dass die Späher ihren versprochenen Lohn bekommen."
König Dahmis sah Michal an, der auf einem Stuhl am Feuer saß, dann blickte er durch die offene Tür. „Komm, Dahmis, Herumlaufen und Brüten verleiht den Spähern auch keine Flügel."
„Ich brauche Vineda", sagte Dahmis beunruhigt. „Wir müssen zu viele Buchten bewachen!" „Warum hilft sie dir nicht mehr?", fragte der Freund geradeheraus.
„Sie hat mit mir gebrochen, als ich mich mit Vesputo verbündete. Sie hasst den König."
„Ich mag ihn auch nicht besonders." Michal lächelte finster.
Von der Tür kam ein Geräusch, laute Schritte näherten sich. Der König eilte hinaus, atemlos kam ihm ein Wächter entgegen.
„Mein Herr, ein Bote!" Der Soldat ließ einen lehmverspritzten Mann in brauner Uniform eintreten. „Mein Herr." Der Bote zitterte vor Erschöpfung. Dahmis führte ihn zu einem Stuhl und ließ ihn Platz nehmen. „Etwas zu trinken?"
„Nein, Herr."
Der Mann fasste sich an die Brust und versuchte zu Atem zu kommen.
Seine lehmige Kleidung verschmutzte die königlichen Möbel.
„Hier, trink", sagte Dahmis und reichte dem erschöpften Soldaten einen Becher. Dieser nahm ihn und trank gierig.
„Nun, die Nachricht. Wer schickt dich?"
„Hauptmann Medron. Er hat eine Nachricht von einem
Spähboot erhalten."
„Medron? Aber der ist doch in ..."
„In der Bucht von Schlossburg."
„Schlossburg?" Dahmis Knie gaben nach. „Was ist passiert?"
„Das Spähboot hat die sliviitische Flotte entdeckt. Wenn der Wind sich nicht dreht, werden sie übermorgen massenweise an Land kommen!"
„Die Sliviiter steuern die Bucht von Schlossburg an?" Dahmis konnte kaum begreifen, was er da hörte. ,Ja, mein König. Es muss der Hauptangriff sein. Es sind so viele!"
„Aber diese Bucht ist so klein und abgelegen." Dahmis vergegenwärtigte sich die Aufstellung seiner Truppen. Einige waren in der Bellanbucht in Archeld, andere schützten die Nordküste von Glavenrell und Emmendae, wo es viele größere Buchten gab. Ja, Herr, klein. Sie werden in Langbooten an Land
kommen - ihre großen Schiffen können dort kaum landen."
„Wie viele Schiffe sind es?" „Der Späher hat vierzig gezählt, Herr." „Vierzig Schiffe! Soweit ich informiert bin, haben siebenhundert Mann Platz auf einem sliviitischen Schiff."
„So groß", sagte der Mann und nickte unglücklich. „Also fast dreißigtausend Mann! Selbst wenn sie auf jedem Schiff eine Mannschaft zurücklassen, können wir sie niemals übertreffen." Dahmis rechnete, dass selbst bei schnellstem Marschtempo nicht einmal tausend Soldaten die Bucht von Schlossburg bis zum übernächsten Tag erreicht haben würden. Er selbst hatte die Generäle davon überzeugen wollen, dass diese felsige Bucht in Glavenrell der denkbar
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