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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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andere Verhältnisse geschriebenen Bücher sagen uns nichts mehr. Wovon leben wir also? Die Befriedigung des Eigennutzes ist den meisten Menschen nicht genug, es gibt zu viele Gebiete, auf denen er keine Entfaltung findet. Sinnliche Genüsse – ein noch begrenzteres Feld. Also schauspielern wir; wir wählen eine Rolle, die mit unserem Alter und unserer Position nicht allzu unvereinbar ist, und spielen sie nach bestem Können. Freilich können wir sie nicht die ganze Zeit aufrechterhalten, aber sie ist da, wenn wir sie brauchen, und Russe zu sein, ist eine große Hilfe.«
    »Gerade sagtest du, Russe zu sein, sei nicht gut oder sei verschwunden oder was«, sagte Frau Tabidze.
    »Nein, nein, mein Liebes, das war die Idee des Russen als eines Teils in einem System von ideologischer Gebundenheit und Lebensführung. Jetzt spreche ich von der Tatsache, daß Russe sein eine nützliche Hilfe zur Schauspielerei ist. Das Wesen des russischen Charakters ist im Leben wie in der Literatur immer theatralisch gewesen. Natürlich haben einige von uns mehr Schwierigkeiten als andere mit der unerreichbaren Rolle. Ich gehöre zu den Glücklichen – meine Rolle ist die des aufrechten Soldaten: loyal, arbeitsfreudig, seinen Männern ein Vater, streng, aber gerecht, alles das, und einer geheimnisvollen Reliquie ergeben, die Regimentsehre genannt wird.«
    »Ich bin überzeugt, daß du wirklich alles von dem bist, Nikola«, sagte Petrowsky ernst.
    »Dank dir, mein lieber Sergej, ich muß sagen, ich hoffe, du hast recht, weil ich aus der Rolle fallen würde, wenn ich sagte, daß die Frage ganz nebensächlich ist, weil das Schauspiel offensichtlich bis zum Schlußvorhang ausgespielt werden muß.«
    »Wie ist es möglich, daß du eine Rolle spielst?« fragte Frau Tabidze. »Wenn du wirklich hart arbeitest, und ich weiß, daß du das tust, gibst du nicht vor, hart zu arbeiten, sondern du tust es wirklich.«
    »Was ich mir selbst zu allem sage, was ich tue, unterscheidet sich sehr von dem, was ein wirklich aufrechter Soldat sich sagen würde.«
    »In meinem ganzen Leben habe ich niemals so dummes Zeug gehört, mein Lieber. Wie groß der Unterschied auch sein mag, er kann nichts ausmachen.«
    »Aber wie paßt all dies Philosophieren in die Rolle?«
    Petrowsky fuhr fort, Neugier zu zeigen, während er einem Kellner winkte. »Ein aufrechter Soldat beschränkt sich gewiß auf ehrliches Soldatentum.«
    »Das ist alles, was du über aufrechte Soldaten weißt, Sergej. Das Kultivieren unvermuteter Interessen ist unerläßlich für den Typ. Mein Schwadronskommandeur in Indien war eine Autorität auf dem Gebiet der Fauna des Balchaschsees.«
    »Das ist nicht ganz das gleiche, nicht wahr?«
    »Nein, aber es ist beinahe das gleiche.«
    Während er sprach, verhalf Tabidze sich zu einem Glas Wein, seinem vierten seit der Ankunft vor vierzig Minuten; es war wieder ein heißer Tag, und er war durstig gewesen. Die einzige Wirkung des schwachen Weines auf seinen harten Kopf war ein genießerischer Unterton in seiner Stimme. Wenn er sich an diesem Abend dazu hinreißen ließ, den gebotenen Speisen und Getränken mit unverminderter Aufnahmefähigkeit zuzusprechen, würde er am nächsten Tag nicht mit einem Katzenjammer geplagt sein, sondern mit dem Bemühen, das zusätzliche Gewicht wieder abzuarbeiten. Nicht einmal seine Frau wußte die harte Selbstdisziplin, durch die er seine Figur bewahrte, voll zu würdigen. Sie wußte, daß er sein graues Haar schwarz färbte. Dies und die Einhaltung der Diät, die er sich auferlegte, erklärte sie sich irrtümlich als harmlose Eitelkeit: in Wahrheit waren sie notwendige Begleiterscheinungen seiner Entschlossenheit, auch nach außen hin den Anschein jener besonderen Spielart des aufrechten Soldaten zu wahren, für den er sich vor dreißig Jahren entschieden hatte. Diese Spielart zog er allen anderen vor, ganz besonders aber dem beleibten, grauhaarigen und im allgemeinen wenig intelligenten Typ, den man in anderen Offiziersmessen überall zu sehen bekam.
    »Ich frage mich, wie du deine Theorie auf andere Mitglieder dieser Gesellschaft anwenden würdest«, sagte Petrowsky gedankenvoll. »Welche Rolle spiele ich, zum Beispiel? Tue dir keinen Zwang an!«
    »Warum sollte ich? Du bist der rundum liberale Typ, rückhaltlos tolerant, nicht abgeneigt dem, was andere verdammen, für die Gleichbehandlung von Ungleichen, gegen die Ausübung von Autorität über die eigenen Kinder, der geduldige, aber feste Meister und Herr, freilich

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