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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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war. Um das Schlimmste zu verhindern, hatte man an den Außenwänden große Sperrholzplatten befestigt und mit dicken Balken abgestützt.
    Die Neuankömmlinge stiegen ab und umrundeten die hintere Ecke cks Hauses. Im Schatten der Mauer bemerkte Shan ein halbes Dutzend Lastwagen, die einer rostiger als der andere aussahen. Die Werkstatt und der dazugehörige Fuhrpark wurden aus den Mitteln des Landwirtschaftsministeriums gefördert und standen den kleinen Anbau- und Viehzuchtbetrieben der Region zur Verfügung, erklärte Akzu.
    In der hinteren Ecke des Gebäudes hatte man vor dem intakten Teil der Wand eine kleine Sperrholzkabine zusammengezimmert, an deren primitiver Tür aus Holz und Pappe ein verblichenes Poster hing, auf dem ein Dutzend junger Männer und Frauen abgebildet war. Sie repräsentierten ein paar der unzähligen ethnischen Gruppierungen, die Peking im Lauf der Jahre befreit hatte, und reckten in ihren blauen Uniformen des Proletariats voller Freude Schraubenschlüssel und Hämmer gen Himmel. Fördert den Wohlstand der Minderheiten, stand darunter zu lesen.
    Hinter der Tür saßen ein ausgemergelter kurzhaariger Hund und ein kleiner dunkelhäutiger Mann, der sich schon seit einigen Tagen nicht mehr rasiert hatte und dessen Hände und Arme mit Motoröl verschmiert waren. Er saß an einem rostigen Metalltisch, las in einer Zeitung und blickte auf, als Akzu eintrat. Dann stieß er zum Gruß ein undefinierbares Grunzen aus und deutete auf ein Brett, in dem fünf Nägel steckten, an denen jeweils ein Schlüsselbund hing.
    »Kehr schnell wieder um, Onkel«, sagte Jakli leise von der Tür aus. »Der Clan braucht dich.«
    Beim Klang ihrer Stimme ruckte der Kopf des Mannes hoch. Stirnrunzelnd musterte er Jakli und wandte sich wieder an Akzu. »Kontrollpunkte«, murmelte er. »Sechseinhalb Kilometer von hier auf der Strecke nach Yutian und auf der Fernstraße in Richtung Westen.«
    »Jakli bringt diese Leute.«, setzte Akzu an.
    Der Mann gebot ihm mit erhobener Hand Einhalt. »Sag's mir nicht, alter Freund. Heutzutage stellen eine Menge Leute zu viele Fragen. Ich bin bloß ein Mechaniker, und mehr will ich gar nicht sein.« Er legte die Zeitung beiseite, unter der ein aufgeschlagenes Hauptbuch zum Vorschein kam. Dann klappte er das Buch lautstark zu und sah zu dem Schlüsselbrett.
    »Nehmt die Schildkröte«, sagte er und wies auf den letzten Schlüsselbund der Reihe. »Wir haben den Wagen nie offiziell erworben, also taucht er auch nicht in den Büchern auf. Und ich muß keinerlei Eintragung vornehmen.«
    Akzu warf Jakli die Schlüssel zu und deutete auf den hintersten Stellplatz, auf dem sich ein kleiner robuster Laster befand, der anscheinend aus den Teilen mehrerer anderer Fahrzeuge zusammengesetzt worden war. Der Wagen verfügte über breite Reifen, eine kurze Ladefläche aus grob behauenen Holzplanken, einen überdimensionalen Benzintank, der seitlich am Rahmen verlief, sowie ein längliches Führerhaus, das sogar für eine schmale Rückbank Platz bot. Die ansteigende Rundung der Kabine erinnerte tatsächlich an den Panzer einer Schildkröte.
    »Wer?« fragte Akzu den Mann.
    Der Mechaniker runzelte erneut die Stirn. Zu viele Fragen, hatte er gesagt. »Grau«, lautete seine resigniert klingende Antwort, und Shan begriff, daß Akzu sich nach den Urhebern der Kontrollpunkte erkundigt hatte. Grau war die Farbe der Öffentlichen Sicherheit, der Kriecher. Die Armee trug Grün, die Verkehrspolizei Blau. »Aber die Anklägerin ist nicht da. Hat anderweitig zu tun. Gestern hat sie vier geschnappt. Vorgestern drei, wie man sich in der Stadt erzählt. Ein paar Lehrer von der Schule. Und aus dem Fuhrpark. So habe ich davon erfahren. Die haben sich einen der Fahrer gegriffen.«
    Jakli, die Shan soeben durch eine Geste zu verstehen gegeben hatte, er möge sie zu dem Wagen begleiten, blieb bei diesen Worten abrupt stehen. Dann kehrte sie zu dem Mann zurück. »Mit welcher Begründung?« fragte sie mit empörtem Unterton. Shan verstand die temperamentvolle Kasachin inzwischen ein wenig besser. So wie Lokesh mitunter vor plötzlichem Kummer überquoll, neigte Jakli zu unberechenbarem Trotz.
    »Mit der Begründung, daß sie die Anklägerin ist«, entgegnete der Mann, sah dabei allerdings weiterhin Akzu an, als sei er nicht geneigt, ein direktes Gespräch mit Jakli zu beginnen. »Angeblich hängt alles mit dieser Frau namens Lau zusammen. Die Leute sollen zu ihrem Verschwinden verhört werden. Ihr habt Lau gekannt. Vielleicht

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