Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
kommen? Seine Tochter besuchen? Er tat doch, was sie von ihm verlangt hatte, verdammt. Trotzdem gab sie ihm das Gefühl, er würde sie quälen. Es war, als hätte das vorhergehende Gespräch nie stattgefunden.
»Ich kann einfach nicht mit dir reden«, hatte sie so stockend gesagt, als könnte sie die Worte kaum über die Lippen bringen.
Was hatte sie damit gemeint? Ich kann jetzt nicht mit dir reden? Nie wieder? Diese Woche?
Seine Frau und seine Söhne fehlten ihm so sehr, dass er kaum an etwas anderes denken konnte. Das Ekzem in seinen Kniekehlen war wieder da. Er hatte ständig Magenschmerzen. Er fand kaum noch Schlaf, und die Ränder unter seinen Augen wurden von Tag zu Tag dunkler.
Tia stieg ins Auto. Sie war ungewöhnlich still.
»Weißt du, wo wir hinmüssen?«, fragte sie.
»Ich hab die Adresse ins Navi eingegeben.«
»Woher hast du die Adresse?« Tias Fragen klangen vorwurfsvoll. Sie raubte ihm den letzten Nerv, aber er war ihr etwas schuldig, und das wusste er.
Er wünschte, er könnte das, was neulich abends bei ihr passiert war, aus seinem Gedächtnis streichen. Er wollte es wettmachen, indem er alles richtig machte. Tia so nah zu kommen, war ein Spiel mit dem Feuer gewesen.
»Aus dem Internet«, sagte Nathan.
»Ich hatte ganz vergessen, wie gründlich du bist.«
Er schaute sie an und lächelte. »Früher hat dir das gut gefallen.«
»Früher hast du mich gemocht.«
»Ich habe nie aufgehört, dich zu mögen, Tia.«
»Aber du hast aufgehört, mich zu lieben«, sagte sie. »Falls du mich überhaupt je geliebt hast.«
Er hielt den Blick auf die Straße gerichtet.
»Hast du mich je geliebt?«, fragte sie.
»Natürlich. Ich werde dich immer lieben.«
»Wie stellst du dir das denn vor? Willst du mich lieben wie ein entfernter Onkel? Ein Bruder? Oder ein Vetter?«
Er nahm ihre Hand und drückte sie. »Glaubst du nicht, dass wir uns aufgrund dessen, was uns verbindet, immer lieben werden?«
Sie zog ihre Hand weg. »Ich versuche seit sechs Jahren, aufzuhören, dich zu lieben.«
Er wusste nicht, was er sagen sollte. Dass sie ihn die ganzen Jahre über geliebt hatte, während er kaum einen Gedanken an sie verschwendet hatte, war so verdammt traurig.
»Du hast mir das Herz gebrochen, Nathan«, sagte Tia leise. »Mein ganzes Leben hat sich nur um dich gedreht.«
»Das habe ich nicht gewusst«, sagte Nathan. »Es tut mir leid.«
»Gott, ich war so dumm.« Tia schüttelte den Kopf. »Robin sagt, ich hätte dir nie wirklich etwas bedeutet.«
Die Wahrheit tat weh.
Einerseits bewunderte Nathan Frauen für ihre Bereitschaft, sich über ihre Beziehungen auszutauschen, andererseits ging es ihm fürchterlich auf die Nerven. Wie Juliette und Gwynne: Nathan war davon überzeugt, dass Gwynne über alles Bescheid wusste, was er tat, vor allem über alles Schlechte. Manchmal fühlte er sich in ihrer Gegenwart regelrecht unwohl, weil er wusste, dass sie über alles im Bilde war, angefangen bei seiner Affäre bis hin zu seinem Tick, jeden Morgen vor dem Spiegel seinen Haaransatz zu begutachten.
Er warf einen Blick in den Rückspiegel. Ein Laster kam mit überhöhter Geschwindigkeit angebrettert, und er wechselte auf die rechte Spur.
»Robin sagt, ich wäre für dich die Hure gewesen, während deine Frau die Heilige ist.« Tia tätschelte ihm das Knie auf die vertraute Art, wie es alte Paare tun. »Du weißt schon, der Heilige-Hure-Komplex.«
»Ich weiß, was der Heilige-Hure-Komplex ist.«
»Tut mir leid, ich hatte einen Moment vergessen, was für ein Genie du bist.«
War sie, als er mit ihr zusammen war, auch schon so zynisch gewesen? Aber damals war er so scharf auf sie gewesen, dass er alles hingenommen hätte.
Nach der Geschichte mit Tia war es ihm leichtgefallen, sein Ehegelöbnis einzuhalten, wie einem Soldaten, der sich zum Pazifismus bekannte, nachdem er ein Gefecht überlebt hatte.
Nathan hatte sich erfolgreich etwas vorgemacht, und er hatte hart daran gearbeitet. Bis auf kurze Augenblicke, wenn eine Erinnerung an Sex mit ihr ihn erregte, hatte er Tia aus seinen Gedanken verbannt. Sicher, anfangs hatte ihn der Gedanke an das Kind hin und wieder beunruhigt, aber als er nichts mehr von ihr hörte, hatte er sich eingeredet, dass sie abgetrieben hatte. Er hatte geglaubt, Tia sei endgültig aus seinem Leben verschwunden, und Juliette und er würden bis an ihr Lebensende glücklich und zufrieden sein. Vor lauter Dankbarkeit, dass sie ihm verziehen hatte, hatte er sich selbst verziehen.
Nathan hatte
Weitere Kostenlose Bücher