Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
Gott, bitte nicht.
»Mom!«, rief Max von oben. Dann, als sie nicht reagierte, lauter: »Mom!«
Juliette steckte die Fotos und den Brief zurück in den Umschlag und verstaute ihn in der Tasche ihres Morgenmantels. »Ich bin hier, Max, du musst nicht so schreien.« Ihre Worte klangen gedämpft, obwohl sie geschrien hatte. Und im selben Atemzug Max ermahnt hatte, nicht zu schreien.
Max’ Kopf erschien über dem Treppengeländer. »Wo ist mein blaues Trikot? Hast du daran gedacht, dass ich heute zum Training muss?«
Juliette drehte den Ehering an ihrem Finger hin und her und wünschte, ihr Herz würde aufhören zu rasen. »Es hängt ganz links im Schrank, neben deiner Jeansjacke.«
Er brummte etwas vor sich hin und lief in sein Zimmer.
»Und dusch dich, bevor du dich anziehst!«, rief Juliette hinter ihm her. Während sie die Post ordentlich stapelte, konnte sie an nichts anderes denken als an den Brief in ihrer Tasche.
Mit weichen Knien ging sie in die Küche.
Die Fotos, die Ähnlichkeit mit Max, mit Nathan – einen Moment lang hatte sie das Gefühl, an ihrer Wut zu ersticken. Die Erinnerung an den Seitensprung ihres Mannes brachte sie vollends zur Raserei. Eine Tochter? Wie hatte Nathan es wagen können, ihr nichts davon zu erzählen?
Tia hatte nicht geschrieben: »Du hast ein Kind.« Und auch nicht: »Ich habe dir damals nicht gesagt, dass ich schwanger war, aber …«
Immerhin hatte sie nicht gewusst, dass sie umgezogen waren.
Und was wusste Nathan? Was wussten die beiden? Was hielten sie sonst noch vor ihr geheim? Die Erinnerung daran, wie verraten und verkauft sie sich gefühlt hatte, wie ahnungslos sie gewesen war, während die beiden es hinter ihrem Rücken miteinander getrieben hatten, drohte sie zu ersticken.
Nur wenige Kilometer entfernt wachte Nathans Tochter gerade auf oder saß beim Frühstück oder wurde gerade in die Vorschule gebracht. Ein Kind, das seins war, aber nicht ihres.
Ihre Augen würden sie verraten. Stöhnend setzte sie sich auf einen Küchenstuhl und kämpfte gegen die Tränen an. Sie grub die Fingernägel in ihre Schenkel. Sie musste sich irgendwie beruhigen, sonst würden die Kinder und Nathan sofort merken, was mit ihr los war.
Tief einatmen .
Gab es einen schlimmeren Verrat, als ein Kind mit einer anderen Frau zu haben?
Abstand gewinnen .
Die Tatsache, dass er ihr nichts von dem Kind erzählt hatte – bedeutete das nicht, dass er der anderen Frau gegenüber mehr Loyalität empfand als ihr gegenüber?
Später. Damit konnte sie sich später noch auseinandersetzen .
Sie brauchte mehr Informationen, ehe sie sich Nathans Lügen anhörte.
Juliette konnte für gewöhnlich ihre Meinung und Gedanken sehr gut für sich behalten. Aufgewachsen mit einer Mutter, die sie schon am frühen Morgen mit Kommentaren wie »In dem Aufzug gehst du nicht zur Schule!« begrüßt hatte, besaß sie die Fähigkeit, sich nach außen hin ruhig und gelassen zu geben. Ihre Mutter hatte es dermaßen genossen, sie zum Weinen zu bringen, dass sie schon früh gelernt hatte, ihre Tränen zurückzuhalten.
Jeden Augenblick würde Lucas die Treppe heruntergepoltert kommen, bereit, sein Frühstück zu verschlingen, egal, was sie ihm vorsetzte. Er konnte Unmengen an Kalorien verbrennen. In diesem Jahr war er seinem Vater über den Kopf gewachsen. Nathan tat so, als würde er es nicht bemerken, aber Juliette fiel auf, wie oft er sich unbewusst aufrichtete, wenn er neben Lucas stand, als wollte er sich größer machen.
Zum Teufel mit den Waffeln. Rührei musste genügen. Sie nahm acht Eier aus dem Kühlschrank. Vier für Lucas, zwei für Nathan – vor Wut blieb ihr fast die Luft weg – und zwei für Max.
Konzentrier dich aufs Essenmachen .
Max war kräftig gebaut wie Nathan und hatte ein ähnlich träges Naturell.
Nicht an den Brief denken .
Juliette hatte früher auch leicht Kalorien verbrannt. Die Zeiten waren vorbei. Jetzt musste sie ständig gegen ihren Appetit auf Makkaroni mit Käsesoße und in Butter geröstete Zwiebeln ankämpfen.
War Tia nach der Schwangerschaft in die Breite gegangen? Sie war so zierlich gewesen, als Juliette sie einmal von Weitem gesehen hatte. Als sie nach South Boston gefahren war, weil sie ihrem Albtraum ein Gesicht hatte geben wollen.
Konzentrier dich auf das Rührei .
Nathan war ein gieriger Esser, er mochte dicke Steaks und alles, was saftig, süß und deftig war. Wenn Juliette Cheddar-Bratlinge machte, war er jedes Mal ganz aus dem Häuschen. Sie sollte ihm ein
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