Das Begraebnis des Paten
Aussichtslos. Er stand weit oben und im Licht, man konnte ihn von überall sehen. Und mit einem guten Fernglas auch von Weitem.
»Wo sind die Bilder?«
»Sicher aufbewahrt.«
»Woher soll ich wissen, dass du nicht wer weiß wie viele Kopien davon hast?«
»Du musst mir halt vertrauen.«
»Einem Erpresser!«
»So wie ich einem Bandenmitglied vertrauen muss.«
»Ein Schwarzer Engel hält immer Wort.«
»Ja, ja. Aber es ist, wie es ist. Wirf die Tasche mit dem Geld übers Geländer.«
»Hier?«
»Genau da.«
Hölttä nahm die Tasche von der Schulter, stellte sie aufs Geländer und spähte nach unten. Am Fuß des Granitsteinturms sah man nur Gras und darauf tote Blätter, über denen sich langsam die Schneedecke schloss.
»Nicht gucken. Lass die Tasche fallen und geh die Treppe runter!«
»Glaubst du vielleicht, ich springe hinterher? Das sind ja zehn Meter freier Fall.«
»Wirf jetzt endlich die Tasche runter! Dann gehst du zu deinem Van. Die Bilder sind auf dem Memorystick, der an der Antenne hängt. Vergiss nicht, ihn abzumachen, bevor du losfährst.«
»Okay.«
Hölttä steckte das Handy ein, warf die Tasche in den Wind und rannte los. Er musste unbedingt sehen, wer sich das Geld schnappte. Warum war er nicht auf die Idee gekommen, Hilfstruppen aus dem Club mitzunehmen? Ist die Scheiße in der Hose, ist es für Reue zu spät. Aber vielleicht schaffte er es ...
Dann rutschte er mit seinen Cowboystiefeln auf einer Stufe aus. Und da er nicht die Hand am Geländer hatte, gab es auch kein Halten mehr. Er ließ ein paar Stufen aus, landete mit dem Ellenbogen auf dem Stein und hörte, wie er brach. Der Ellenbogen, nicht der Stein. Anschließend fiel er zig Treppen als unförmiges Bündel hinunter, er rollte holprig, holte sich überall Dellen, vom Kopf bis zu den Zehen und wieder zurück, landete aber schließlich am Geländer, ohne unter ihm hindurchzurutschen. Allerdings war es keine weiche Landung. Ein senkrechter Geländerpfosten traf ihn zwischen den Beinen und verursachte einen derartigen Schmerz, dass im Oberstübchen die Lichter ausgingen.
Aber auch im Grenzbereich zur Dunkelheit registrierte Hölttä das Geräusch eines Motorrads in der Nähe, das sich rasch entfernte. Er hatte den starken Verdacht, dass auch die hellblaue Sporttasche mit dem Geräusch verschwand.
Am meisten schmerzte Hölttä allerdings, dass die russischen Touristen kamen und ihm auf die Beine halfen und die Mutter ihn in klarem, wenn auch irgendwie geschmiertem Finnisch fragte:
»Sjollen vier Ambjulanz rufen?«
» Ruki ver «, sagte Hölttä und stakste breitbeinig zu seinem Wagen.
Ihm tat alles weh. Und die Glocken klingelten unangenehm. Der rechte Arm hing schlaff herab. Ein bisschen schwindlig war ihm auch – vermutlich eine leichte Gehirnerschütterung. Auf dem Weg den Berg hinunter geriet er immer wieder ins Stolpern und rutschte aus und hätte sich fast wieder hingelegt. Der Reißverschluss seiner Lederjacke war beim Sturz aus den Nähten gerissen worden.
Das alles ging ihm gewaltig auf den Sack.
An der Antenne seines Starcraft hing tatsächlich ein Memorystick mit einem Giga. Hölttä steckte ihn in die Tasche und fuhr zum Club zurück.
Sollte er Hurme etwas erzählen?
Nein. Am besten, er behielt es für sich.
34
Der Schneeregen wurde immer dichter, das Thermometer draußen zeigte bereits Minusgrade. Man konnte zusehen, wie es dunkel wurde. Die Scheibenwischer des Land Cruiser hielten zwar die Windschutzscheibe frei, aber im bläulichen Xenonlicht der Scheinwerfer flatterten bloß weiße und schwarze Fetzen. Allu begriff nicht, wie Jarkka es schaffte, überhaupt auf der Straße zu bleiben.
»An die Winterreifen ohne Spikes muss man sich erst gewöhnen«, sagte Jarkka, als sich eine Kurve fast zu sehr in die Länge gezogen hätte. »Oder doch Spikes anschaffen. Bei uns in der Gegend werden die Nebenstraßen im Winter nicht besonders oft gepflügt.«
»Aber im Sommer schon?«
»Na klar.«
Das Stück »Blue Christmas« des ehemaligen Stray-Cats-Mitglieds Brian Setzer sorgte für Atmosphäre im grünlichen Schein der Armaturen. Gut möglich, dass auch Allu eine blaue Weihnacht bevorstand. Zwar hatte er schon viele einsame Heiligabende verbracht, als er noch bei seinem Vater und seinem kleinen Bruder wohnte, und ebenso oft hatte er sich gewünscht, tatsächlich alleine zu sein und nicht bei seinen Angehörigen, die sich mit Alkohol und Stoff die Birne weich gemacht hatten. Doch wenn man einmal Weihnachten mit
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