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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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über sammelte sich Lord Asriels Armee. Engel seiner Streitmacht flogen in großer Höhe über den Wolkenberg und suchten nach einer Öffnung, doch vergeblich. Nichts geschah, keine weiteren Engel verließen den Berg oder kehrten zu ihm zurück. Heftige Böen zerrten an den Wolken, und die Wolken erneuerten sich endlos selbst, ohne sich den Bruchteil einer Sekunde zu teilen. Die Sonne wanderte über den eisblauen Himmel und ging dann im Südwesten unter. Sie vergoldete die Wolken und tauchte den Nebel um den Berg in ein Meer creme-, aprikosen- und orangefarbener Töne. Es wurde dunkel, und die Wolken glühten schwach von innen.
    Aus allen Welten, in denen Lord Asriel Anhänger hatte, waren Soldaten eingetroffen. Mechaniker tankten Flugschiffe auf, luden Waffen und eichten Visiereinrichtungen und Messgeräte. Nach Einbruch der Dunkelheit kam eine willkommene Verstärkung. Aus dem kalten Norden tauchten lautlos und jeder für sic h zahlreiche Panzerbären auf unter ihnen ihr König. Kurz darauf trafen die ersten Hexenclans ein. Das Sausen der Luft in ihren Kiefernzweigen war lange am nächtlichen Himmel zu hören.
    Auf der Ebene südlich der Festung schimmerten Tausende von Lichtern. Dort lagerten alle, die von weither gekommen waren. Hoch am Himmel kreuzten Schwärme von Engeln, die unermüdlich nach allen vier Richtungen des Kompasses ausspähten und Wache hielten. Um Mitternacht saß Lord Asriel mit König Ogunwe, dem Engel Xaphania, der Gallivespierin Madame Oxentiel und Teukros Basilides im Diamantenturm. Soeben hatte der Alethiometrist seinen Bericht erstattet. Lord Asriel stand auf, trat ans Fenster und betrachtete den fernen Schein des über dem westlichen Horizont hängenden Wolkenbergs. Die anderen schwiegen unter dem Eindruck des eben Gehörten. Lord Asriel war bleich geworden und zitterte. Niemand wusste, was er sagen sollte. Endlich brach Lord Asriel das Schweigen.
    »Sie müssen müde sein, Mr. Basilides«, sagte er. »Ich danke Ihnen für Ihre Mühe. Leisten Sie uns doch noch auf ein Glas Wein Gesellschaft.« »Danke, Mylord«, erwiderte der Alethiometrist.
    Seine Hände zitterten. König Ogunwe goss ein Glas des goldenen Tokaiers ein und reichte es ihm.
    »Was bedeutet das, Lord Asriel?«, fragte Madame Oxentiel mit ihrer hellen Stimme.
    Lord Asriel kehrte zum Tisch zurück.
    »Es bedeutet, dass wir, wenn die Schlacht beginnt, ein neues Ziel haben. Meine Tochter und der Junge sind auf ungeklärte Weise von ihren Dæmonen getrennt worden, ohne daran zu sterben, und ihre Dæmonen halten sich in unserer Welt auf - verbessern Sie mich bitte, Mr. Basilides, wenn ich Sie falsch zusammenfasse - ihre Dæmonen halten sich also in unserer Welt auf und Metatron setzt alles daran, sie einzufangen. Wenn ihm das gelingt, müssen die Kinder ihm folgen, und wenn er erst Lyra und Will in seiner Gewalt hat, gehört ihm die Zukunft. Für immer. Unsere Aufgabe ist deshalb klar: Wir müssen die Dæmonen vor ihm finden und auf sie aufpassen, bis die Kinder sich wieder mit ihnen vereinen.«
    »Wie sehen die verloren gegangenen Dæmonen denn aus?«, fragte die Gallivespierin.
    »Sie haben noch keine feste Gestalt, gnädige Frau«, erwiderte Teukros Basilides. »Sie können jede beliebige Gestalt annehmen.«
    »Fassen wir also zusammen«, schloss Lord Asriel. »Unser aller Schicksal, das der Republik und die Zukunft allen bewussten Lebens hängen davon ab, dass meine Tochter am Leben bleibt und ihr Dæmon und der des Jungen nicht Metatron in die Hände fallen.«
    »Jawohl.«
    Lord Asriel seufzte befreit, gleichsam als sei er am Ende einer langen, komplizierten Rechnung zu einem Ergebnis gelangt, das wider Erwarten einen Sinn ergab.
    »Gut«, fuhr er fort und breitete die Hände auf dem Tisch aus. »Wir gehen folgendermaßen vor. Ihr, König Ogunwe, befehligt die Armeen, die die Festung verteidigen. Sie, Madame Oxentiel, entsenden sofort Ihre Leute, um überall nach dem Mädchen, dem Jungen und den beiden Dæmonen zu suchen. Wenn Sie sie finden, verteidigen Sie sie mit Ihrem Leben, bis alle wieder vereint sind. Sobald das der Fall ist, kann, wenn ich es richtig verstehe, der Junge ein Fenster in eine andere Welt öffnen und sich und das Mädchen in Sicherheit bringen.«
    Die Gallivespierin nickte. Das Licht der Lampe fing sich in ihren steifen, grauen Haaren, und sie glitzerten wie rostfreier Stahl. Der blaue Falke auf dem Mauervorsprung neben der Tür, den sie von Lord Roke übernommen hatte, hob für einen Moment die

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