Das Bernstein-Teleskop
hält ... Der alte Gott hatte wenigstens den Anstand, sich zurückzuziehen. Die Drecksarbeit, die Verbrennung der Ketzer und die Hinrichtung der Hexen, überließ Er Seinen Priestern. Der neue Gott wird bei weitem furchtbarer sein.«
»Und als Erstes überfällt er unsere Republik«, ergänzte Ogunwe.
»Aber seht, dort, ist das Rauch?«
Ein grauer Schwaden quoll aus dem Wolkenberg und breitete sich langsam über den blauen Himmel aus. Doch konnte es sich nicht um gewöhnlichen Rauch handeln, denn der Schwaden trieb gegen den Wind, der an den Wolken zerrte.
Der König hob den Feldstecher an die Augen.
»Engel«, sagte er.
Lord Asriel ließ das Fernrohr los, richtete sich auf und hob die Hand über die Augen. Zu Hunderten, Tausenden und Zehntausenden flogen winzige Gestalten über den sich verdunkelnden Himmel. Und immer noch kamen mehr. Lord Asriel hatte die Milliarden blauer Spatzen erlebt, die bei Sonnenuntergang um den Palast des Kaisers Kangpo kreisten, eine so ungeheuerliche Menge dagegen noch nie. Die fliegenden Wesen sammelten sich, dann strömten sie langsam nach Norden und Süden auseinander.
»Oho!«, rief Lord Asriel und streckte die Hand aus. »Und was ist das? Doch nicht der Wind!«
Die Wolken an der südlichen Bergflanke gerieten in Bewegung. Lange, zerknitterte Dunstbanner entfalteten sich im Wind, doch Lord Asriel hatte Recht: Die Bewegung kam aus dem Berg, nicht von der Luft draußen. Die Wolken wogten hin und her, dann teilten sie sich für eine Sekunde.
Dahinter kam etwas ganz anderes als ein Berg zum Vor schein, allerdings nur für einen kurzen Augenblick. Danach schlossen sich die Wolken wieder, wie von einer unsichtbaren Hand zusammengeschoben. König Ogunwe setzte den Feldstecher ab.
»Das ist kein Berg«, sagte er. »Ich habe Geschützstellungen erkannt ... «
»Ich auch, und noch vieles mehr. Ob Metatron durch die Wolke nach draußen sieht? In manchen Welten gibt es Instrumente, mit denen man das kann. Was allerdings seine Armee betrifft: Wenn diese Engel alles sind, was er aufbieten kann -« Der König blickte ihn fassungslos an, doch Lord Asriel packte ihn so fest am Arm, dass Ogunwe fast in die Knie gegangen wäre.
»Das haben sie nicht!«, rief Lord Asriel und schüttelte den Arm des Königs. »Einen Körper aus Fleisch und Blut!« Er nahm das Gesicht des Freundes in die Hände.
»So wenige wir auch sind«, fuhr er eindringlich fort, »so kurz unser Leben währt und so schlecht wir sehen - verglichen mit ihnen sind wir trotzdem stärker. Sie beneiden uns, Ogunwe! Und ich bin überzeugt, genau das stachelt ihren Hass an. Zu gern hätten sie unsere Körper, so fest und stark und so gut für das Leben auf dieser Erde geeignet! Wenn wir uns diesen endlosen Heerscharen nur entschlossen entgegenstellen, sprengen wir sie so leicht auseinander, wie man mit der Hand den Nebel teilt. Mehr Kraft haben sie nicht!«
»Aber sie haben Verbündete in tausend Welten, Asriel, lebendige Wesen wie wir.«
»Wir werden dennoch siegen.«
»Und angenommen, Metatron schickt die Engel aus, um Ihre Tochter zu suchen?«
»Meine Tochter!«, rief Lord Asriel begeistert. »Was für eine Tat, ein Kind wie sie in die Welt zu setzen! Man sollte meinen, es sei schon ungeheure Leistung genug, allein zum König der Panzerbären zu gehen und ihm sein Königreich abzuluchsen - aber dann noch in die Welt der Toten hinunterzusteigen und die Toten seelenruhig hinauszulassen! Und erst dieser Junge, ich will ihn kennen lernen und ihm die Hand geben. Wussten wir denn, was auf uns zukam, als wir die Rebellion begannen? Nein. Aber wussten sie denn - der Allmächtige und sein Regent, dieser Metatron - wussten sie, was auf sie zukam, als meine Tochter auf den Plan trat?«
»Lord Asriel«, sagte der König, »begreift Ihr, welche Bedeutung Lyra für die Zukunft hat?«
»Offen gesagt, nein. Deshalb will ich auch unbedingt Basilides sprechen. Wo ist er?«
»Der Mann hält sich gerade bei Mrs. Coulter auf. Doch er ist erschöpft. Er kann erst weitermachen, wenn er sich ausgeruht hat.«
»Zum Ausruhen hat er später noch Zeit. Lasst ihn holen. Ach, und noch eins: Bittet auch Madame Oxentiel, in den Turm zu kommen, sobald sie es einrichten kann. Ich muss ihr noch kondolieren.«
Madame Oxentiel war die stellvertretende Kommandantin der Gallivespier und sollte Lord Roke nachfolgen. König Ogunwe verbeugte sich und ging, während sein Befehlshaber den Blick wieder zum grauen Horizont richtete.
Den ganzen Tag
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