Das Bernstein-Teleskop
Flügel.
»Jetzt zu Ihnen, Xaphania«, sagte Lord Asriel. »Was wissen Sie über diesen Metatron? Er war doch einst ein Mensch. Besitzt er immer noch unsere Körperkräfte?«
»Als er an die Macht kam, war ich schon lange im Exil«, erwiderte der Engel. »Ich habe ihn nie von nahem gesehen. Doch hätte er sich nicht zum Herrn des Himmelreichs aufschwingen können, wenn er nicht ungeheuer stark wäre, stark in jeder Beziehung. Die meisten Engel würden den Kampf von Mann zu Mann scheuen. Metatron nicht, und er würde siegen.«
Ogunwe erkannte, dass Lord Asriel ein Einfall gekommen war. Die ganze Aufmerksamkeit des Lords richtete sich auf einmal nach innen, und sein Blick ging ins Leere. Dann richteten seine Augen sich wieder auf ihr Gegenüber. Ein neuer Funke glomm in ihnen.
»Aha«, sagte der Lord. »Noch ein Letztes, Xaphania. Wie Mr. Basilides meinte, hat die Bombe unserer Feinde zwischen den Welten einen Abgrund aufgerissen und darüber hinaus das Gefüge der Materie so sehr erschüttert, dass sich überall Risse und Spalte gebildet haben. Irgendwo in der Nähe unserer Festung muss ein Weg zu diesem Abgrund hinunterführen. Suchen Sie ihn.«
»Was wollt Ihr tun?«, fragte König Ogunwe mit rauer Stimme.
»Metatron vernichten. Doch nähert sich meine Zeit dem Ende. Es ist meine Tochter, die leben muss. Wir müssen sie deshalb unter allen Umständen vor der Streitmacht des Himmelreichs beschützen, bis sie, der Junge und ihre Dæmonen in eine andere Welt geflohen sind.«
»Und Mrs. Coulter?«, fragte der König.
Lord Asriel fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Ich will nicht, dass ihr etwas zustößt«, sagte er. »Lasst sie in Ruhe und beschützt sie, wenn ihr könnt. Obwohl... Vielleicht tue ich ihr unrecht. Sie war immer für eine Überraschung gut. Jedenfalls wissen wir jetzt, was wir tun müssen und warum. Wir müssen Lyra schützen, bis sie ihren Dæmon gefunden und sich in Sicherheit gebracht hat. Vielleicht ist das der einzige Zweck unserer Republik. Tun wir, was in unseren Kräften steht.«
Mrs. Coulter lag in der kleinen Kammer nebenan auf Lord Asriels Bett. Als sie im Besprechungszimmer Stimmen hörte, regte sie sich unruhig, denn sie schlief nicht fest. Nach und nach erwachte sie, erfüllt von einer tiefen Sehnsucht, aus ihrem wenig erholsamen Schlummer.
Ihr Dæmon setzte sich auf, doch Mrs. Coulter blieb liegen. Der Klang von Lord Asriels Stimme genügte ihr vollauf, einzelne Worte brauchte sie nicht zu verstehen. Ihrer beider Schicksal war besiegelt, dachte sie, oder vielmehr das Schicksal aller Menschen.
Endlich hörte sie, wie die Tür im anderen Zimmer geschlossen wurde. Sie stand auf und ging hinüber.
»Asriel«, murmelte Mrs. Coulter und trat in das warme Licht der Naphthalampe.
Sein Dæmon knurrte leise, und der goldene Affe senkte den Kopf, um ihn zu besänftigen. Lord Asriel rollte eine große Karte zusammen. Er drehte sich nicht um.
»Asriel«, sagte sie noch einmal und setzte sich in einen Sessel. »Was wird mit uns allen geschehen?«
Er presste sich die Handballen auf die Augen. Sein Gesicht war von Erschöpfung gezeichnet. Dann setzte er sich ebenfalls und stützte einen Ellenbogen auf den Tisch. Die beiden Dæmonen verharrten still. Der Affe hockte auf der Sessellehne, die Schneeleopardin saß aufrecht und wachsam an Lord Asriels Seite und starrte Mrs. Coulter unverwandt an.
»Hast du das Gespräch mitgehört?«, fragte Lord Asriel.
»Ich habe euch reden hören, weil ich nicht schlafen konnte, aber ich habe nicht viel verstanden. Weiß jemand, wo Lyra ist?«
»Nein.«
Er hatte immer noch nicht ihre erste Frage beantwortet und sie wusste, dass er es auch nicht tun würde.
»Wir hätten heiraten und Lyra selbst großziehen sollen«, sagte Mrs. Coulter.
Asriel sah sie verblüfft an, denn mit einer solchen Bemerkung hatte er niemals gerechnet. Sein Dæmon ließ tief in seiner Kehle ein ganz leises Knurren hören und legte sich mit ausgestreckten Pfoten wie eine Sphinx auf den Boden. Lord Asriel schwieg.
»Ich kann den Gedanken einer völligen Auslöschung nicht ertragen, Asriel«, fuhr Mrs. Coulter fort. »Alles ist mir lieber als das. Früher dachte ich, Schmerzen seien schlimmer, ewige Folterqualen ... Aber sie wären eindeutig vorzuziehen, solange man wenigstens bei Bewusstsein ist, nicht wahr? Es wäre immer noch besser als nichts zu empfinden, als einfach aufzuhören, weil alles zu Ende geht.«
Er hörte ihr nur zu und hielt den Blick auf sie gerichtet. Zu
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