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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Zunächst bewegte sie sich nicht, so weh taten ihr Arme und Beine und so schwach und kraftlos fühlte sie sich. Doch einschlafen konnte sie auch nicht mehr. Das Mädchen spürte die sanfte Brise und die warme Sonne und hörte das Zirpen der Insekten und das Trällern des Vogels hoch am Himmel. Wunderbar! Sie hatte ganz vergessen, wie schön die Welt war.
    Lyra rollte auf die Seite. Will schlief noch fest. Seine Hand hatte stark geblutet, sein Hemd war zerrissen und schmutzig und seine Haare starrten vor Dreck und Schweiß. Sie betrachtete ihn lange Zeit - die pulsierende Ader an seinem Hals, seine Brust, die sich langsam hob und senkte, und die zarten Schatten seiner Wimpern, als die Sonne sie schließlich erreichte.
    Er murmelte etwas und bewegte sich. Da Lyra nicht dabei ertappt werden wollte, wie sie ihn anstarrte, blickte sie in die andere Richtung, auf das kleine, nur zwei Handbreit große Grab, das sie in der Nacht zuvor ausgehoben hatten und in dem jetzt die Leichen von Chevalier Tialys und Lady Salmakia ruhten. In der Nähe lag ein flacher Stein. Lyra stand auf, zog ihn aus der Erde und stellte ihn hochkant auf das Grab. Dann setzte sie sich hin, hob die Hand über die Augen und spähte auf die Ebene hinaus.
    Die Savanne erschien endlos. Sie war nicht ganz flach, sondern sanft gewellt und von zahllosen Hügelketten und Bachläufen durchzogen. Dazwischen wuchsen Wäldchen mit Bäumen, die so groß waren, dass sie weniger Pflanzen, als vielmehr Bauwerken glichen. Ihre kerzengeraden Stämme und dunkelgrünen Kronen schienen der Entfernung Hohn zu sprechen, so deutlich waren sie über mehrere Kilometer zu sehen.
    Näher bei Lyra, genauer gesagt keine hundert Meter entfernt am Fuß des Hügels, lag ein kleiner Teich, gespeist durch eine Quelle, die aus einer Felsspalte sprudelte. Lyra spürte auf einmal, wie großen Durst sie hatte.
    Sie stand auf und stieg auf zittrigen Beinen langsam zu der Quelle hinunter. Plätschernd sprang das Wasser über bemooste Steine. Lyra tauchte die Hände hinein, wusch sie gründlich und schöpfte dann Wasser an den Mund. Es war so kalt, dass ihre Zähne schmerzten. Trotzdem trank sie hingebungsvoll.
    Schilf umstand den Teich und irgendwo quakte ein Frosch. Das
    Wasser war seicht und wärmer als die Quelle. Lyra zog die Schuhe aus und watete hinein. Lange stand sie so da und ließ sich die Sonne auf Kopf und Nacken scheinen, die Zehen in den kühlen Schlamm unter ihren Füßen gegraben und um die Waden das kalte Wasser der Quelle.
    Dann bückte sie sich, tauchte das Gesicht ins Wasser und weichte ihre Haare gründlich ein. Sie ließ die Strähnen im Wasser schwimmen, zog sie mit dem Kopf durch das Wasser und rührte sie mit den Fingern um, bis auch der letzte Dreck herausgewaschen war.
    Schließlich fühlte Lyra sich ein wenig sauberer, und ihr Durst war gestillt. Sie drehte sich um. Auch Will war inzwischen aufgewacht. Er saß auf dem Hügel, die Arme um die angezogenen Knie geschlungen, und sah wie vor ihm Lyra auf die Ebene hinaus, überwältigt von ihrer Weite, dem Licht, der warmen Sonne und der Ruhe.
    Langsam stieg Lyra zu ihm hinauf. Will war damit beschäftigt, die Namen der Gallivespier in den kleinen Grabstein zu ritzen und dem Stein einen festeren Halt zu geben.
    »Wo sind ...«, setzte er an, und sie wusste sofort, dass er ihre Dæmonen meinte.
    »Keine Ahnung. Pan habe ich noch nicht gesehen, ich habe aber das Gefühl, dass er sich ganz in der Nähe aufhält. Erinnerst du dich noch an gestern?«
    Will rieb sich die Augen und gähnte so herzhaft, dass Lyra seine Kiefer knacken hörte. Dann blinzelte er ein paar Mal mit den Augen und schüttelte den Kopf.
    »Kaum«, erwiderte er. »Ich habe Pantalaimon gepackt und du den anderen Dæmon, dann sind wir durch das Fenster gestiegen. Überall schien der Mond, und ich habe Pantalaimon gleich hinter dem Fenster abgesetzt.«
    »Und dein - der andere Dæmon sprang mir gleich aus den Armen«, sagte Lyra. »Ich wollte noch Mr Scoresby und Iorek durch das Fenster sehen, und als ich mich dann zu Pan umdrehte, waren die beiden schon verschwunden.«
    »Aber hier habe ich ein anderes Gefühl als in der Welt der Toten, wo wir richtig voneinander getrennt waren.«
    Lyra nickte. »Die beiden sind sicher irgendwo in der Nähe. Ich weiß noch, wie wir früher Verstecken spielten. Es klappte nie richtig, weil ich immer zu groß war, um mich vor Pan zu verstecken, und immer genau wusste, wo er sich verborgen hielt, auch wenn er sich in eine

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