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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Rüsseln ihren Sitz und die Steigbügel, wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht herunterfallen konnten.
    Dann legten sie los. Mit ihren seitlichen Gliedmaßen bearbeiteten sie immer schneller die Straße, bis sie mit aberwitziger Geschwindigkeit den Hang hinunterrasten. Will und Lyra klammerten sich mit Händen und Knien fest. Der Wind sauste in den Ohren, blies die Haare aus dem Gesicht und drückte auf die Augen. Das Donnern der Räder, das beiderseits vorbeiflitzende Gras, der Schwindel der Kurven und der Rausch der Geschwindigkeit - die Wesen schienen in ihrem Element zu sein, ohne dabei freilich den Kopf zu verlieren. Will und Lyra spürten ihre Freude und juchzten übermütig.
    In der Mitte des Dorfes hielten sie an. Die dortigen Wesen hatten sie bereits kommen sehen. Sie versammelten sich um die Neuankömmlinge, hoben die Rüssel und begrüßten sie mit freundlichen Lauten. 
    »Dr. Malone!«, rief Lyra.
    Aus einer der Hütten war Mary getreten. Die untersetzte, rotwangige Gestalt in dem verblichenen blauen Hemd wirkte fremd und vertraut zugleich.
    Lyra rannte zu ihr und umarmte sie, und die Frau zog sie fest an sich. Will blieb misstrauisch in einiger Entfernung stehen.
    Mary gab Lyra einen Kuss und ging dann Will entgegen, um auch ihn zu begrüßen. Einen kurzen Augenblick lang empfand sie eine verwirrende Mischung aus Zuneigung und Verlegenheit.
    Getrieben von Mitleid mit den völlig verwahrlosten Kindern, wollte sie den Jungen zuerst wie Lyra umarmen. Doch Mary war eine erwachsene Frau und Will schon fast erwachsen, und sie spürte, dass sie ihn mit einer Umarmung zum Kind gemacht hätte. Ein Kind hätte sie umarmt, doch nie einen ihr unbekannten Mann. Sie hielt sich also im letzten Moment zurück, denn sie wollte Lyras Freund mit allem Respekt begegnen und ihn nicht in Verlegenheit bringen.
    Sie streckte ihm also die Hand entgegen, und er ergriff sie. Beide hatten das Gefühl, einander auf Anhieb zu verstehen, und aus diesem Verstehen wurde spontane Zuneigung. Beide spürten, dass sie einen Freund fürs Leben gewonnen hatten, und so war es auch tatsächlich. 
    »Das ist Will«, stellte Lyra ihn vor. »Er kommt aus Ihrer Welt, ich habe Ihnen von ihm erzählt, vielleicht erinnern Sie sich -«
    »Ich bin Mary Malone«, sagte Mary. »Und jetzt wollt ihr sicher etwas essen, ihr seht ja halb verhungert aus.«
    Sie wandte sich an das Wesen neben ihr und sprach in dem Singsang der Tiere mit ihm. Dazu bewegte sie den Arm. Sofort entfernten sich die Wesen. Eins brachte aus der nächsten Hütte Kissen und Decken und breitete sie auf dem Boden unter einem Baum aus. Das dichte Laub der tief hängenden Äste warf einen kühlen Schatten und duftete aromatisch.  Sobald die Kinder es sich auf dem Boden bequem gemacht hatten, brachten ihre Gastgeber das Essen - Holzschüsseln randvoll mit einer Milch gefüllt, die säuerlich nach Zitrone roch und wunderbar erfrischend war, kleine Nüsse ähnlich Haselnüssen, aber mit einem noch reicheren, buttrigen Geschmack, und frisch geernteten Salat, pfeffrig scharfe Blätter gemischt mit weichen, dicken Blättern, aus denen ein cremiger Saft tropfte, und kleinen Wurzeln so groß wie Kirschen, die an süße Karotten erinnerten.
    Viel brachten die Kinder allerdings nicht hinunter, zu reichhaltig war das Essen. Will wollte seine Gastgeber nicht enttäuschen, schaffte aber außer dem Getränk nur einige mehlige Fladenbrote, die an Ciabattas oder Tortillas erinnerten - eine einfache, nahrhafte Speise, die ihm vollkommen reichte.  Lyra probierte von allem etwas, musste aber wie Will bald aufgeben.
    Mary stellte ihnen keine Fragen. Die beiden Kinder waren zutiefst gezeichnet von dem, was sie durchgemacht hatten, und konnten noch nicht darüber sprechen.
    Stattdessen beantwortete Mary die Fragen der Kinder zu den Mulefa und schilderte ihnen kurz, wie sie selbst in diese Welt gekommen war. Als sie dann sah, dass den Kindern die Augen zufielen und ihre Köpfe nach unten sanken, ließ sie sie im Schatten des Baumes allein. 
    »Ihr braucht jetzt nichts zu tun als zu schlafen«, sagte die Frau. 
    Unter dem Baum war an diesem warmen, windstillen Nachmittag nur das einschläfernde Zirpen der Grillen zu hören. Will und Lyra tranken aus, und kaum fünf Minuten später schlummerten sie fest.
     
     
    Sie haben verschiedene Geschlechter? fragte Atal erstaunt. Woran sieht man das?
    Ganz einfach, erwiderte Mary. Ihre Körper sind verschieden geformt und sie bewegen sich anders.
    Sie sind nicht

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