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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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hatten sie selten Gelegenheit, sie zu sammeln, weil sie auf Sand nicht richtig gehen konnten. Mary brachte ihnen deshalb immer, wenn sie zum Strand ging, so viele mit, wie sie tragen konnte. Diesmal, mit drei Paar Augen und Händen, würde es ein Festessen geben.
    Die Frau verteilte Stofftaschen an die Kinder, und dann sammelten sie und hörten zugleich der Fortsetzung von Wills Geschichte zu. Die Taschen füllten sich rasch, und als die Flut einsetzte, führte Mary die Kinder unauffällig wieder zu den Salzwiesen zurück.
    Die Kinder hatten viel zu berichten. Sie würden an diesem Tag nicht bis zur Welt der Toten kommen. Auf dem Rückweg zum Dorf erzählte Will, was Balthamos über die Entstehung menschlichen Lebens gesagt hatte. Mary interessierte sich besonders für die dreigeteilte Natur des Menschen.
    »Die Kirche, die katholische Kirche, der ich früher angehörte, würde sie zwar nicht Dæmonen nennen, aber Paulus spricht von Geist, Seele und Leib. Die Vorstellung einer dreigeteilten Natur des Menschen ist also gar nicht so merkwürdig.«
    »Der Körper ist dabei das Beste«, meinte Will. »Das sagten zumindest Baruch und Balthamos. Engel besäßen gerne Körper. Die beiden sagten, Engel könnten nicht verstehen, warum wir das Leben nicht mehr genießen. Engel wären im siebten Himmel, wenn sie unseren Körper und unsere Sinne hätten. In der Welt der Toten -«
    »Davon erzählen wir später noch«, unterbrach ihn Lyra. Sie lächelte ihn an, und in ihrem Lächeln lag eine solche selige Freude, dass Will ganz durcheinander kam. Er erwiderte das Lächeln. Mary beobachtete ihn. Sein Gesicht drückte ein so vollkommenes Vertrauen aus, wie sie es noch nie bei einem Menschen gesehen hatte.
    Sie erreichten das Dorf. Höchste Zeit, das Abendessen vorzubereiten. Mary ließ die beiden Kinder am Flussufer sitzen, wo sie zusahen, wie die Flut stieg, und ging zum Feuer, um Atal beim Kochen zu helfen. Ihre Freundin brach angesichts der Schnecken in Begeisterung aus.
    Aber es ist etwas Schlimmes passiert, Mary, sagte sie dann. Die Tualapi haben ein Dorf weiter oben an der Küste zerstört und anschließend noch zwei weitere. Das ist neu. Gewöhnlich überfallen sie ein Dorf und kehren dann zum Meer zurück. Und heute fiel schon wieder ein Baum um.
    Nein! Wo denn?
    Laut Atal hatte der Baum in einem Wäldchen unweit einer heißen Quelle gestanden. Mary hatte das Wäldchen erst drei Tage zuvor besucht und nichts Ungewöhnliches bemerkt. Sie nahm das Teleskop zur Hand und richtete es nach oben. Und tatsächlich, der Strom der Schattenteilchen war noch mehr angeschwollen. Er zog jetzt schneller über den Himmel als die zwischen den Flussufern steigende Flut.
    Was kannst du tun? fragte Atal.
    Mary fühlte das Gewicht der Verantwortung wie eine schwere Hand auf ihren Schultern, doch versuchte sie, sich nichts davon anmerken zu lassen.
    Geschichten erzählen, sagte sie.
    Nach dem Abendessen setzten die drei Menschen und Atal sich auf Decken vor Marys Hütte. Satt und zufrieden lehnten sie sich zurück, um Mary zuzuhören. Über ihnen funkelten die Sterne, und der Duft von Blumen erfüllte die Nacht.
    Die Wissenschaftlerin begann ihre Geschichte kurz vor ihrer Begegnung mit Lyra. Sie sprach über ihre Arbeit am Forschungslabor für Dunkle Materie und über die drohende Schließung des Labors wegen ausbleibender Fördergelder. Mary war fast nur noch damit beschäftigt gewesen, Bittbriefe zu schreiben. Für die Forschung hatte sie kaum noch Zeit gefunden.
    Dann war Lyra gekommen, und alles hatte sich geändert, und zwar so schnell, dass Mary schon wenige Tage später ihre Welt verlassen hatte.
    »Ich folgte deinen Anweisungen«, sagte sie an Lyra gewandt, »und schrieb ein Programm, also eine Folge von Befehlen, damit die Schatten über den Computer mit mir sprechen konnten. Die Schatten sagten mir, was ich tun sollte. Sie sagten, sie seien Engel und - na ja ... « »Das war eigentlich recht ungeschickt von ihnen«, meinte Will, »wenn Sie doch Wissenschaftlerin sind. Es hätte ja sein können, dass Sie nicht an Engel glauben.«
    »Schon, aber mit Engeln kannte ich mich aus, ich war ja früher Nonne. Ich wollte Gott als Physikerin dienen, bis mir klar wurde, dass es Gott gar nicht gibt und die Physik sowieso viel interessanter ist. Das Christentum ist ein einflussreicher und überzeugender Irrtum, mehr nicht.«
    »Seit wann sind Sie keine Nonne mehr?«, fragte Lyra.
    »Das weiß ich noch bis auf den Tag und die Uhrzeit genau«, sagte

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