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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Beleidigung aufgefasst, aber sie versteckten sich mindestens so gut wie Ratten. Aus ihrem Versteck konnten sie viel von dem, was an Bord geredet wurde, belauschen, außerdem hielten sie stündlichen Kontakt mit Lord Roke an Bord des Gyropters von König Ogunwe.
    Nur eines blieb ihnen an Bord des Zeppelins verborgen, denn der Vorsitzende sprach nicht davon: die Existenz des ausgesandten Mörders Pater Gomez, dem bereits im Voraus die Sünde vergeben worden war, die er begehen würde, wenn das Geistliche Disziplinargericht mit seiner Mission scheiterte. Pater Gomez befand sich an einem ganz anderen Ort, und ihm folgte niemand.

Räder
     
     

    »Ja«, sagte das rothaarige Mädchen im Garten des verlassenen Casinos. »Wir haben die Frau gesehen, ich und Paolo. Sie kam vor einigen Tagen hier durch.«
    »Und wisst ihr noch, wie sie aussah?«, fragte Pater Gomez.
    »Ihr war wohl ziemlich heiß«, sagte der kleine Junge. »Sie war ganz rot im Gesicht.«
    »Wie alt schätzt ihr sie denn?«
    »So ungefähr ... « Das Mädchen überlegte. »Zwischen vierzig und fünfzig. Wir haben sie nicht von nahem gesehen. Vielleicht auch dreißig. Aber sie hat geschwitzt, wie Paolo sagte, und sie hatte einen großen Rucksack auf, viel größer als Ihrer, etwa so groß ... «
    Paolo flüsterte ihr etwas ins Ohr und sah dabei den Priester mit gegen die Sonne zusammengekniffenen Augen an.
    »Ja, ich weiß schon«, meinte das Mädchen ungeduldig. »Die Gespenster«, sagte sie dann zu Pater Gomez, »die Frau hatte überhaupt keine Angst vor ihnen. Sie spazierte einfach durch die Stadt, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. Ich habe noch nie einen Erwachsenen gesehen, der das tat. Als wüsste sie nicht, dass es Gespenster gibt. Wie Sie offenbar auch nicht.« Sie sah ihn herausfordernd an.
    »Es gibt vieles, das ich nicht weiß«, erwiderte Pater Gomez gütig.
    Der kleine Junge zupfte das Mädchen am Ärmel und flüsterte wieder etwas.
    »Paulo meint, Sie würden uns sicher das Messer zurückbringen«, sagte das Mädchen.
    Pater Gomez spürte, wie ihm ein Schauer den Rücken hinunterlief. Ihm fiel ein, was Fra Pavel im Verhör vor dem Geistlichen Disziplinargericht gesagt hatte. Es musste sich um dasselbe Messer handeln.
    »Das tue ich, wenn ich kann«, sagte er. »Das Messer kommt von hier, nicht wahr?«
    »Vom Turm der Engel, ja«, sagte das Mädchen und zeigte auf einen massiven Turm aus Stein, der die rotbraunen Dächer überragte und in der grellen Mittagssonne flimmerte. »Der Junge, der es gestohlen hat, hat unseren Bruder Tullio umgebracht. Dann haben die Gespenster Tullio erwischt. Bringen Sie den Jungen ruhig um, das geht in Ordnung. Und das Mädchen - die lügt und ist genauso schlimm wie er.«
    »Da war auch ein Mädchen?«, sagte der Priester, bemüht, sein Interesse zu verbergen.
    »Die lügt wie gedruckt«, schimpfte das rothaarige Mädchen. »Wir hätten die beiden fast getötet, aber dann kamen so Frauen, fliegende Frauen -«
    »Hexen«, sagte Paolo.
    Ja, Hexen, und gegen die konnten wir nichts ausrichten. Sie nahmen die beiden mit, das Mädchen und den Jungen, wohin wissen wir nicht. Aber die Frau, die kam später. Wir dachten, vielleicht hat sie auch ein Messer, um die Gespenster abzuhalten. Vielleicht haben Sie ja auch eins.«
    Die Kleine starrte ihn wieder mit erhobenem Kinn trotzig an. »Ich habe kein Messer«, sagte Pater Gomez. »Aber ich habe eine heilige Aufgabe zu verrichten. Vielleicht schützt mich das vor diesen Gespenstern.«
    »Ja«, sagte das Mädchen, »vielleicht. Jedenfalls, wenn Sie die Frau suchen, die ist nach Süden gegangen. In Richtung der Berge. Wir wissen nicht, wohin genau. Aber fragen Sie andere, die können Ihnen sagen, ob sie vorbeigekommen ist. Leute wie diese Frau gibt es in Ci'gazze sonst nicht, früher nicht und jetzt nicht. Es kann nicht schwer sein, sie zu finden.«
    »Danke, Angelica«, sagte der Priester. »Gott segne euch, Kinder.«
    Zufrieden schulterte er seinen Rucksack, verließ den Garten und machte sich auf den Weg durch die leeren, in der Mittagshitze flirrenden Straßen.
     
     
    Nach drei Tagen in Gesellschaft der auf Rädern fahrenden Tiere wusste Mary Malone eine ganze Menge über sie und die Tiere eine Menge über Mary.
    An jenem ersten Morgen war die Wissenschaftlerin mit ihnen eine Stunde lang auf der Basaltstraße unterwegs gewesen. Eine unbequeme Reise, denn sie hatte sich nirgends festhalten können und der Rücken des Tieres, auf dem sie saß, war hart. Die Wesen rollten

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