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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Zuständigkeit an derer Mulefagruppen. Jeden Tag zogen einige los, um den Zustand der gewaltigen Bäume zu überprüfen und heruntergefallene Samenkapseln zu ernten. Welchen Nutzen die Mulefa davon hatten, war Mary klar, aber was hatten die Bäume davon? Bis sie eines Tages die Antwort darauf erhielt. Sie ritt mit den Mulefa von Wäldchen zu Wäldchen. Plötzlich gab es einen lauten Knall. Alle hielten an und umringten einen Zalif, dessen Rad zerbrochen war. Da die Gruppe immer ein oder zwei Ersatzräder mit sich führte, war der Schaden rasch behoben. Anschließend wurde das kaputte Rad sorgfältig in ein Tuch gewickelt und ins Dorf zurückgebracht.
    Dort stemmten die Mulefa es auf, nahmen die Samen heraus - flache, ovale Samen so groß wie Marys kleiner Finger - und untersuchten sie sorgfältig. Die Kapseln, erklärten sie Mary, bräuchten die ständige Erschütterung auf den harten Straßen, um überhaupt aufzubrechen. Außerdem keimten die Samen nur schwer. Ohne die Pflege der Mulefa wären die Bäume längst ausgestorben. So blieb jede Art auf die andere angewiesen, und ermöglicht wurde das durch das Öl. Mary verstand es nur mit Mühe, aber für die Mulefa schien das Öl im Zentrum ihres Denkens und Fühlens zu stehen. Die Jungen, die noch nicht das Wissen ihrer Eltern besaßen, weil sie noch nicht auf Rädern fuhren, konnten deshalb auch kein Öl durch ihre Klauen absorbieren.
    Und da begriff Mary auf einmal die Verbindung zwischen den Mulefa und der Frage, die sie die vergangenen Jahre ihres Lebens beschäftigt hatte.
    Bevor sie dieser Verbindung allerdings weiter nachgehen konnte (und die Gespräche mit den Mulefa verliefen lang und schwierig, weil die Mulefa ihre Aussagen gern mit Dutzenden von Beispielen ausschmückten und verdeutlichten, geradezu als ob sie nichts vergäßen und ihr gesamtes Wissen immer sofort abrufbereit hätten), wurde das Dorf angegriffen. Mary sah die Angreifer zuerst, ohne zu wissen, um was es sich handelte.
    An einem Nachmittag half sie, das Dach einer Hütte zu reparieren. Die Mulefa bauten nur einstöckig, da sie nicht klettern konnten. Mary dagegen freute sich, auf dem Dach herumsteigen zu können. Sie ließ sich von den Mulefa zeigen, wie man das Stroh auf dem Dach festband, und verrichtete diese Arbeit dann viel schneller, als die Mulefa es konnten. An die Dachbalken gelehnt, fing Mary die Strohbündel, die zu ihr heraufgeworfen wurden, und genoss die kühle Brise vom Wasser, die die Sonnenhitze milderte. Plötzlich sah sie etwas Weißes aufblitzen.
    Das Leuchten kam von der fernen glitzernden Fläche, die sie für das Meer hielt. Sie legte die Hand über die Augen und sah eins, zwei, nein, viel mehr - eine ganze Flotte hoher weißer Segel aus dem flirrenden Dunst auftauchen und majestätisch auf die Flussmündung zusteuern.
    Mary, rief ein Zalif von unten. Was siehst du da?
    Da sie das Wort für Segel oder Schiff nicht kannte, antwortete sie: Hoch, weiß, viele.
    Sofort alarmierte der Zalif die anderen mit einem Schrei, und alle in Hörweite hörten auf zu arbeiten und eilten auf den Platz in der Mitte des Dorfes und riefen die Jungen herbei. Innerhalb einer Minute waren die Mulefa zur Flucht bereit.
    Mary!, rief Atal, ihre Freundin, Mary! Komm! Tualapi! Tualapi!
    Alles war so schnell geschehen, dass Mary noch kaum Zeit gehabt hatte, zu reagieren. Die weißen Segel befanden sich inzwischen auf dem Fluss und kamen gegen die Strömung rasch voran. Mary war von der Disziplin der Seeleute beeindruckt. Sie manövrierten blitzschnell, und wie ein Schwarm Stare wechselten die Segel alle in genau demselben Augenblick die Richtung. Und sie waren wunderschön anzusehen, schneeweiß, schmal, vom Wind gefüllt ...
    Mindestens vierzig zählte Mary, und sie kamen schneller stromaufwärts, als sie für möglich gehalten hätte. Allerdings sah sie an Bord keine Matrosen, und erst jetzt erkannte sie, dass es sich bei den Seglern überhaupt nicht um Schiffe handelte, sondern um riesige Vögel. Die Segel waren ihre Flügel, einer vorn und einer hinten, durch Muskelkraft gebogen und in den Wind gehalten.
    Ihr blieb jetzt keine Zeit mehr, die Vögel genauer zu betrachten. Schon hatten sie das Ufer erreicht und stiegen an Land. Sie besaßen Hälse wie Schwäne und Schnäbel so lang wie Marys Unterarme. Ihre Flügel waren doppelt so groß wie Mary und sie hatten - Mary war inzwischen erschrocken losgerannt und konnte nur noch einen flüchtigen Blick über die Schulter werfen - kräftige Beine.

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