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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Kein Wunder, dass sie im Wasser so schnell vorangekommen waren.
    Mary rannte hinter den Mulefa her, die das Dorf eilig in Richtung Straße verließen. Die Mulefa riefen sie, und Mary holte sie gerade noch rechtzeitig ein. Ihre Freundin Atal wartete auf sie. Mary kletterte auf ihren Rücken, dann schob Atal sich mit den Füßen an und hastete hinter ihren Gefährten her den Hang hinauf.
    Die Vögel kamen auf dem Land nicht so schnell voran wie im Wasser, gaben die Verfolgung bald auf und kehrten ins Dorf zurück.
    Dort plünderten sie knurrend und fauchend die Hütten mit Nahrungsmittelvorräten und schluckten Trockenfleisch, eingemachtes Obst und Getreide mit erhobenen Schnäbeln hinunter. In weniger als einer Minute war alles Essbare vertilgt.
    Dann entdeckten die Tualapi das Lager, in dem die Räder aufbewahrt wurden. Sie versuchten, die großen Samenkapseln aufzubrechen, doch das gelang ihnen nicht. Mary spürte, wie ihre Freunde zusammenzuckten, als sie von der Kuppe des niedrigen Hügels aus verfolgten, wie die Tualapi eine Kapsel nach der anderen auf den Boden warfen, hin und her stießen und mit den Klauen ihrer mächtigen Beine bearbeiteten. Zwar konnten sie den Kapseln nichts anhaben, doch mussten die Mulefa besorgt mit ansehen, wie die Tualapi mehrere zum Wasser schoben und hineinstießen. Schwerfällig trieben die Räder flussabwärts zum Meer.
    Dann gingen die großen, schneeweißen Vögel daran, alles zu zerstören, was ihnen unterkam. Rücksichtslos trampelten sie mit den Füßen herum, hieben und stachen mit ihren gefährlichen Schnäbeln auf alles ein und rissen es auseinander. Die Mulefa begannen leise zu jammern. Das klang fast wie ein Klagegesang.
    Ich helfe, sagte Mary. Wir reparieren das wieder.
    Doch die widerwärtigen Biester waren noch längst nicht fertig. Mit erhobenen Schwingen hockten sie sich auf die Trümmer und entleerten darauf ihre Gedärme. Der Wind trug den Gestank bis zu den Mulefa hinauf. Kothaufen und Pfützen in Grün, Schwarz, Braun und Weiß verschmutzten den Boden zwischen zerbrochenen Balken und unter zerfetzten Strohdächern. Erst dann watschelten die Vögel breitbeinig und schwerfällig zum Wasser zurück und segelten flussabwärts zum offenen Meer.
    Die Mulefa warteten, bis der letzte weiße Flügel im Nachmittagsdunst verschwunden war, ehe sie die Straße hinunterfuhren. Sie waren wütend und traurig. Am meisten sorgten die Mulefa sich aber um ihre Samenkapsel-Vorräte. Von fünf zehn Rädern fanden sie nur noch zwei vor. Die anderen waren ins Wasser gefallen und verloren gegangen. Allerdings kam an der nächsten Biegung des Flusses eine Sandbank, und Mary glaubte eine Samenkapsel zu sehen, die dort hängen geblieben war. Zur Überraschung und zum Entsetzen der Mulefa zog sie ihre Kleider aus, band sich eine Schnur um den Bauch und schwamm zu der Sandbank. Dort fand sie nicht nur ein Rad, sondern gleich fünf. Sie fädelte die Schnur durch die bereits aufgeweichten Mittellöcher, dann schwamm sie zurück und zog die Kapseln hinter sich her.
    Die Mulefa waren überglücklich. Sie selbst gingen nie ins Wasser, fischten nur vom Ufer aus und achteten darauf, dass ihre Füße und Räder nicht nass wurden. Mary hatte endlich das Gefühl, dass sie etwas für diese freundlichen Wesen hatte tun können.
    Später am Abend, nach einem spärlichen Mahl aus essbaren Wurzeln, erzählten die Mulefa Mary, warum sie solche Angst um die Räder hatten. Einst, vor langer Zeit, hatte es Samenkapseln im Überfluss gegeben. Die Welt barst vor Leben, und die Mulefa lebten mit ihren Bäumen zufrieden und glücklich. Doch dann, vor vielen Jahren, hatte sich etwas Furchtbares ereignet. Irgendetwas Lebenswichtiges musste damals von ihrer Welt verschwunden sein, denn trotz aller Mühen und der liebevollen Pflege, die die Mulefa den Bäumen mit den Samenkapseln angedeihen ließen, starben die Bäume.

Die Libellen
     
     

    Ama stieg den Weg zur Höhle hinauf. In der Tasche auf ihrem Rücken befanden sich Brot und Milch. Ein schwieriges Problem beschäftigte sie: Wie um alles in der Welt konnte sie zu dem schlafenden Mädchen vordringen?
    Sie erreichte den Stein, auf den sie das Essen stellen sollte. Wie die Frau es ihr befohlen hatte, legte sie die Gaben auf den Stein, machte sich aber nicht gleich wieder auf den Nachhauseweg. Stattdessen kletterte Ama weiter hinauf, an der Höhle vorbei, durch die dichten Rhododendren und noch weiter, bis der Wald sich lichtete und die Regenbogen anfingen.
    Dort

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