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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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holte das geliebte Instrument hervor und nahm es auf den Schoß. Nach und nach glitt sie in jene Trance, in der immer neue Bedeutungsschichten für sie sichtbar wurden und allmählich ihre vielfältigen Verknüpfungen hervortraten. Während sie mit den Fingern über die Symbole strich, formulierte sie im Geist dazu die Worte: Wie können wir die Spione loswerden? Dann schlug die Nadel erst in die eine, dann in die andere Richtung aus, fast zu schnell für die Augen, doch etwas in Lyras Bewusstsein zählte die Schwingungen und Pausen und erkannte sogleich die Bedeutung dieser Bewegung.
    Sie lautete: Versuche es nicht, denn euer Leben hängt von ihnen ab.
    Was für eine Überraschung, und dazu noch keine, über die sie sich freute. Doch das Mädchen fuhr mit der Befragung fort: Wie können wir ins Land der Toten gelangen?
    Die Antwort kam sogleich: Geht weiter. Folgt dem Messer. Geht einfach immer weiter.
    Und dann stellte sie zögernd und ein wenig verschämt eine weitere Frage: Tun wir damit auch das Richtige?
    Ja, antwortete das Alethiometer auf der Stelle. Ja.
    Erleichtert tauchte Lyra aus der Trance auf und strich sich die Haare hinter die Ohren. Sie spürte, wie ihr die ersten Sonnenstrahlen Gesicht und Schultern wärmten. Nun belebten auch erste Geräusche die Morgenstille: Insekten sirrten und eine ganz leichte Brise raschelte in den trockenen Halmen des Dünengrases.
    Sie räumte das Alethiometer fort und kehrte zu Will zurück. Pantalaimon hatte sich so groß wie möglich gemacht und Löwengestalt angenommen in der Hoffnung, die Gallivespier damit einzuschüchtern. Der Chevalier bediente gerade den Magnetstein-Resonator. Als er fertig war, fragte ihn Lyra:
    »Haben Sie mit Lord Asriel gesprochen?«
    »Mit seinem Stellvertreter«, antwortete Tialys.
    »Wir gehen nicht mit.«
    »Das habe ich ihm mitgeteilt.«
    »Und was hat er dazu gesagt?«
    »Das war für meine Ohren bestimmt, nicht für deine.«
    »Wie Sie wollen«, sagte sie. »Sind Sie eigentlich mit der Dame verheiratet?«
    »Nein, wir sind Kollegen.«
    »Haben Sie Kinder?«
    »Nein.«
    Noch während Tialys den Magnetstein-Resonator wieder einpackte, wachte Lady Salmakia auf und erhob sich anmutig aus der kleinen Mulde, die ihr Körper im weichen Sand hinterlassen hatte. Die Libellen, die mit spinnwebdünnen Bändern festgebunden waren, schliefen noch mit taubenetzten Flügeln.
    »Gibt es in Ihrer Welt auch große Leute oder nur kleine wie Sie?«, wollte Lyra wissen.
    »Wir wissen, wie wir mit Großen umzugehen haben«, erwiderte Tialys knapp und wandte sich dann Lady Salmakia zu. Die beiden sprachen zu leise, als dass Lyra sie hätte verstehen können. Die Art und Weise, wie sie Tautropfen von Grashalmen tranken, war allerliebst anzusehen. Wasser, dachte Lyra und blickte Pantalaimon an, muss für Gallivespier etwas ganz anderes sein als für uns. Man stelle sich vor, es mit einem faustgroßen Tropfen zu tun zu haben! Da wäre es schwer, reinzukommen, denn die Tropfen hätten eine elastische Haut wie ein Luftballon.
    Mittlerweile wurde auch Will langsam wach. Als Erstes schaute er nach den Spionen, die ihn ihrerseits sofort anblickten.
    Er drehte den Kopf weg und sah zu Lyra.
    »Ich möchte dir etwas sagen«, begann sie. »Komm hier herüber, weg von ... «
    »Wenn ihr weggeht«, ertönte Tialys' helle Stimme, »müsst ihr das Messer hier lassen. Wenn ihr euch nicht von dem Messer trennen wollt, müsst ihr hier miteinander reden.«
    »Können wir nicht einmal ungestört sein?«, empörte sich Lyra. »Wir wollen nicht, dass Sie uns zuhören.«
    »Dann geht weg, aber lasst das Messer hier.«
    Da sonst niemand in der Nähe war und die Gallivespier mit Sicherheit nicht im Stande waren, die Klinge zu benutzen, fügten sich die beiden. Will kramte in seinem Rucksack nach der Wasserflasche und ein paar Keksen, gab Lyra einen ab und stieg dann mit ihr die Düne hinauf.
    »Ich habe das Alethiometer befragt«, teilte sie ihm mit, »und es sagte, wir sollten nicht versuchen, den kleinen Leuten zu entkommen, weil sie uns einmal das Leben retten würden. Wir werden deshalb wohl mit ihnen vorlieb nehmen müssen.«
    »Hast du ihnen gesagt, was wir vorhaben?«
    »Nein, das möchte ich auch nicht. Denn mit ihrer sprechenden Fiedel würden sie sogleich alles an Lord Asriel weitergeben, und der würde alles dransetzen, uns aufzuhalten. Uns bleibt nichts anderes übrig, als einfach loszugehen und vor ihnen nicht darüber zu reden.«
    »Aber sie sind Spione«, gab Will zu

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