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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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Diele war es mucksmäuschenstill. Durch die offene Tür zur Langgasse drangen Straßengeräusche. Ungezügelte Wut loderte in Carlotta auf. Ehe sie dessen recht gewahr geworden war, stürzte sie sich auf Christoph, packte ihn am Revers seines eleganten Rocks, zerrte und riss wie von Sinnen daran.
    »Was soll das? Warum hast du das getan? Du weißt genau, was der Bernstein mir bedeutet.« Für einen Moment sahen sie sich tief in die Augen. Ein verräterischer Schimmer glimmte im Grau seiner Pupillen.
    »Du bist ja wahnsinnig«, zischte er.
    Sie holte aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Von dem Schwung fuhr sein Kopf herum. Tiefrot zeichneten sich die Abdrücke ihrer Finger auf der hellen Haut seiner Wangen ab.
    »Hau ab!«, rief sie. »Geh mir aus den Augen und wage nie mehr, hierher zurückzukommen.«

Dritter Teil A
    Die Probe
    Am Frischen Haff
    Winter 1662
    1
    S chon am frühen Morgen war die Gaststube gut besucht. Das heftige Schneetreiben hatte zusätzlich zu den Schlafgästen Handwerker und Fischer aus Brandenburg in den Krug getrieben. Sogar der Amtshauptmann aus der nahe gelegenen Burg, in der in früheren Zeiten eine ordensmeisterliche Komturei untergebracht gewesen war, hockte am Kopfende einer der Tafeln. Wohlgemut ließ er sich das frisch gezapfte Bier sowie eine ordentliche Portion Schinken und Käse schmecken. Die dicken Wollmäntel dampften vor Nässe, die feuchten Lederstiefel der Männer verbreiteten einen strengen Geruch. Vom Herd zog Rauch herüber. In einem tiefhängenden Kessel brodelte eine dicke Suppe.
    Nahe der Treppe ins Obergeschoss verharrte Carlotta. Sie meinte, es schnüre ihr die Kehle zu. Die schlechte Luft auf nüchternen Magen einzuatmen, war ihr nahezu unmöglich. Übelkeit beschlich sie. Dabei wusste sie nur zu gut, dass nicht allein die Stimmung in dem Gasthaus schuld an ihrem Zustand trug. Seit Christoph vor ihren Augen den Bernstein ins Herdfeuer geschleudert hatte, fühlte sie sich nicht mehr als Herrin ihrer Sinne. Trotz aller Wut quälte sie die Ungewissheit, was aus dem Ärmsten geworden war. Niemand, auch Steutner nicht, hatte ihr verraten, was geschehen war, nachdem er mit Christoph und Mathias aus dem Haus in die Langgasse hinausgestürmt war. Das lädierte Aussehen des Schreibers am nächsten Morgen ließ das Schlimmste befürchten. Die eiligst anberaumte Abreise hatte es ihr verwehrt, sich selbst zu erkundigen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um über die vielen Köpfe hinwegschauen zu können. Vielleicht entdeckte sie irgendwo einen freien Tisch für sich und die Mutter, an dem sie warten konnten, bis die Reise weiterging.
    »Kommt her, verehrtes Fräulein! Hier ist noch Platz für Euch«, winkte Friedrich Thiesler und rutschte bereits auf der Bank zur Seite. Nur zu gern hätte sie die Einladung übersehen. Nachher würde sie noch lange genug neben dem hoch aufgeschossenen Theologiestudenten aus der Königsberger Altstadt sitzen und seinen weitschweifigen Reden über Paul Gerhardts Kirchenlieder lauschen müssen. Leider reiste er genau wie ihre Mutter und sie in dem Fuhrwagen der Löbenichter Kaufleute Tromnau und Hohoff Richtung Danzig. Flüchtig schweifte ihr Blick über die beiden Anführer ihrer Reisegruppe, die sie ebenfalls nicht sonderlich mochte. Auf Empfehlung des Lagervorstehers Schrempf, dem sie wohl einen Gefallen schuldeten, hatten die Zunftgenossen sie kurzfristig mitgenommen. Mehr als einmal schon hatten sie verkündet, wie sehr ihnen die Gegenwart der beiden Frauen missfiel. Wahrscheinlich wussten sie längst, warum sie Königsberg so überstürzt verlassen hatten.
    Thiesler fühlte sich verpflichtet, das brummige Gebaren der beiden wettzumachen. »Hierher, Verehrteste.« Gleich wiederholte er seine Aufforderung. Inzwischen hatte er sich halb von der Bank erhoben und gestikulierte auffällig.
    Carlotta seufzte. Ein letztes Mal ließ sie den Blick durch den Schankraum schweifen.
    »Sieh nur«, raunte Magdalena ihr zu, die unbemerkt an sie herangetreten war. »Der gute Thiesler hat freundlicherweise einen Platz für uns frei gehalten. Es ist gleich beim Fenster. Da können wir das Wetter draußen im Auge behalten. Ein kleiner Imbiss tut jetzt wirklich gut. Mein Magen knurrt schon. Und wer weiß, wann wir unsere nächste Station erreichen.«
    Entschlossen zog sie sie durch die Reihen an den Tisch des Studenten. Auch der dunkelbärtige Tromnau und der schlechtrasierte Hohoff saßen bereits dort, dem Studenten gegenüber. Unwirsch nickten

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