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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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aufzuheben. Lächelnd pustete er den Staub ab und reichte sie Lina. »Das habt Ihr wohl verloren. Unsere gute Hedwig wird nicht eben erfreut sein, wenn Ihr zu wenig davon nach Hause bringt.«
    »Oh, danke.« Lina nahm das Obst und strahlte Steutner über das ganze Gesicht an. Ihre Wangen glühten vor Freude über den gelungenen Streich. Sie zwang sich, einen kurzen Moment lang die grünblauen Augen züchtig niederzuschlagen, um nicht allzu keck zu erscheinen. »Ihr rettet mich in der Tat. Hedwig kann es auf den Tod nicht ausstehen, wenn eine der abgezählten Früchte fehlt.«
    Artig knickste sie und tat, als wollte sie rasch weiter. Aber natürlich hatte sie sich auch bei diesem Schritt nicht getäuscht: Steutner wollte sie nicht so einfach ziehen lassen. Wohlerzogen bot er an, den schweren Korb nach Hause zu tragen.
    »Sehr freundlich von Euch.« Ihre Finger spielten mit einem der strohblonden Zöpfe, die Finger der zweiten Hand fuhren am Rand ihres Mieders entlang, vergrößerten dabei wie zufällig den Blick auf ihren Brustansatz. Treuherzig legte sie den Kopf schief, streckte die drallen Brüste ein wenig heraus und malte mit der Schuhspitze im Straßenstaub. »Ich hoffe, ich halte Euch nicht von Wichtigem ab. Wahrscheinlich sollt Ihr für die gnädige Frau Grohnert etwas Dringendes erledigen.«
    »Das hat noch Zeit«, gab er lächelnd zurück. »Was könnte es in diesem Moment Wichtigeres geben, als Euch diesen schweren Korb nach Hause zu tragen? Wenn die Töpfe gut gefüllt sind, kann das unserer Patronin nur recht sein. Mir scheint allerdings, die gute Hedwig hat Euch die Einkäufe für die gesamte Woche aufgetragen. Dem Gewicht nach zu urteilen, lassen sich mit den Dingen mindestens die Soldaten eines kurfürstlichen Fähnleins ernähren.« Übertrieben laut schnaufte er, stellte den Korb ab und presste sich die Hände ins Kreuz. Lina blieb ebenfalls stehen.
    »Ist es so arg?«, fragte sie besorgt.
    »Geht gleich wieder.« Tapfer lockerte er die Glieder.
    Sie genoss die warmen Sonnenstrahlen im Gesicht. Sie wusste, wie vorteilhaft sie ihr Haar glänzen ließen. Auch die Sommersprossen kamen in diesem goldenen Oktoberlicht bestens zur Geltung. Sie schob die Hüften ein wenig vor, legte abermals den Kopf schief und fuhr sich mit der Zungenspitze über die halbgeöffneten Lippen.
    »Es liegt nicht an Hedwig, dass der Korb so schwer ist. Ihr macht Euch einfach keine Vorstellung, welche Mengen bei uns im Haus gegessen werden«, erzählte sie. »Dabei sitzt Ihr selbst jeden Tag mit am Tisch und lasst es Euch schmecken. Unsere Patronin ist sehr großzügig. Ich habe schon vielerorts gedient, aber selten eine so gute Verköstigung erlebt.«
    »Ein Hoch auf unsere Patronin!« Er schwenkte den Hut und lachte. Dabei blitzten zwei Reihen schöner schneeweißer Zähne in seinem Mund auf. Ein Hauch von Pfefferminz entströmte der Mundhöhle. Anerkennend glitt Linas Blick über die schlanke Gestalt. Rock und Hose waren tadellos, kaum ein Flicken verunzierte den Stoff. Zwar bedeckte eine dünne Schicht Staub die Stiefel, doch auch deren Leder wurde sichtlich gut gebürstet. Selbst der Hemdkragen war nicht speckig und die darauf fallenden braunen Locken ordentlich gestutzt. So, wie Steutner sie anstrahlte, schien ihr endlich auch einmal die Zuneigung eines feinen jungen Burschen sicher. Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, stand ihr schlagartig das Elend in der düsteren Hütte bei Insterburg vor Augen: der um sich schlagende Fritz, das unglücklich greinende Karlchen. War es recht von ihr, mit Steutner auf der Brücke herumzuscharwenzeln? Sie biss sich auf die Lippen und sah zu Boden. Dann streckte sie sich wieder. Nein, die Freude wollte sie sich nicht verderben lassen. Nie hatte sich Fritz auch nur einen Deut um ihr Wohlbefinden geschert. Selbst der Kleine war ihm stets nur lästig gewesen. Dabei war es sein Sohn! Wenigstens hatte sie für Karlchen eine gute Lösung gefunden, tröstete sie sich. Schaffte sie es, ihre Stellung im Kneiphof zu festigen, würde sie ihn zu sich holen. Und bis dahin hatte sie alles Recht der Welt, auch einmal ein klein wenig unbeschwert und glücklich zu sein.
    »Lina, was ist?« Sie spürte Steutners Finger unter ihrem Kinn. Sanft hob er ihr Gesicht an, bis sie ihm in die Augen sah. »Habe ich etwas Falsches getan? Mir scheint, ich sehe Tränen in Euren schönen Augen. Verzeiht vielmals.« Er deutete einen Kratzfuß an. Dabei verlor er das Gleichgewicht, ruderte wild mit den Armen durch

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