Das Bernsteinerbe
nicht ersetzen, erst recht nicht, wenn ein so hübsches kleines Weibsbild uns verdorrten Studiosi das beweist.« Zwar zwinkerte er Carlotta zu, dennoch war zu spüren, wie wenig ihm zum Scherzen zumute war. Leise raunte er ihr zu: »Wer weiß, wie du das schaffst, uns alle derart mit deinem Bann zu belegen. Eines Tages komme ich dir auf die Spur, verlass dich drauf, meine Liebste.«
»Wie meinst du das?« Verstört suchte sie, ihn festzuhalten, damit er sich ihr genauer erklärte. Er aber schüttelte ihre Hand brüsk ab und lief Richtung Holzwiese davon, um Hilfe für Caspar Pantzer zu holen.
14
D ie seltsame Stimmung im Haus verdross Lina. Wenn es allein Magdalena Grohnert gewesen wäre, die sie verbreitete, hätte es ihr wenig ausgemacht. Die Bernsteinhändlerin hatte sie zwar mit ehrlicher Wiedersehensfreude eingestellt, richtete aber seitdem kaum mehr das Wort an sie, weil sie viel zu sehr von den Aufgaben im Kontor beansprucht wurde. Alles, was das Haus betraf, überließ sie deshalb Carlotta und insbesondere der Köchin Hedwig. Die führte ein strenges Regiment, was Magdalena Grohnert nur zu gern billigte.
Trotz allem aber war Lina eine entscheidende Änderung im Gemütszustand der Patronin nicht entgangen: Seit dem gestrigen Mittwoch war jeder Anflug eines Lächelns auf ihrem schmalen, katzenhaften Gesicht erloschen. Selbst die smaragdgrünen Augen wirkten auf einmal glanzlos. Das stimmte Lina nachdenklich. Zunächst meinte sie, Magdalena hätte bemerkt, welche Blicke Steutner ihr hinter dem Rücken der anderen zuwarf. Dazu passte, dass Hedwig sie mit reichlich Arbeit eindeckte, als wollte sie sie bestrafen. Andererseits: Hätte sie oder gar die Patronin etwas von Steutner und ihr gemerkt, schickten sie sie gewiss nicht mehr allein ins Kontor, dort etwas zu erledigen, oder baten den Schreiber, ihr beim Heranschleppen des Feuerholzes für den Dielenofen behilflich zu sein. Ach, sie waren kostbar, diese wenigen Momente, da sie Humbert Steutner innig in die schönen braunen Augen schauen konnte! Lina seufzte. Die trübe Stimmung im Haus musste eine andere Ursache haben. Wahrscheinlich hing es mit Carlottas gestrigem Weglaufen aus dem Kontor zusammen. Der junge Kepler hatte sie zum Schlosshof mitgenommen – gegen den ausdrücklichen Wunsch Magdalena Grohnerts! Die schien die Vorfälle in der Stadt mit größtem Argwohn zu verfolgen, jede Einmischung, ganz gleich, ob auf Seiten der Bürgerschaft oder der des Kurfürsten, tunlichst zu vermeiden. Oder missbilligte sie einfach nur Carlottas gar zu engen und häufigen Umgang mit dem Medicus? Aber warum? Kepler war doch ein anständiger Bursche und eine gute Partie noch dazu. Lina verstand das nicht.
Schwungvoll goss sie heißes Wasser in den Waschtrog. Die Wucht, mit der der heiße Strahl in den Bottich traf, sorgte für eine riesige Welle. Gierig sog sie den daraus aufsteigenden Wasserdampf ein. Der machte Mund und Nase wunderbar frei, tat zudem gut auf der spröden Haut. Wie ein sanftes Kitzeln von Steutners Atem. Was war sie froh, wie einfach die Dinge für sie lagen! Tief atmete sie durch. Sie sollte nicht so viel an den Schreiber denken, sonst kam es am Ende doch heraus. Der Ärger würde die Stimmung im Haus gewiss noch weiter verschlechtern. Abermals entfuhr ihr ein Seufzer. Stärker als Magdalenas Gebaren stieß ihr Carlottas plötzliche Verdrossenheit auf. Dabei war sie gestern Mittag noch voller Tatendrang mit dem jungen Medicus zum Schlosshof davongestürmt. Ein stattlicher Kerl. Linas Wangen begannen zu glühen, wenn sie sich sein Aussehen in Erinnerung rief. Fast so ansehnlich wie ihr Steutner. Ihr Steutner! Wie gut er küssen konnte. Darüber vergaß sie alles andere. Ob der junge Kepler auch so küsste? Seine vollen Lippen deuteten auf eine tiefe Sinnlichkeit. Ihr wurde heiß. Für Carlotta hoffte sie, sie wusste, was sie an dem Medicus hatte, nicht nur des Küssens wegen. Vielleicht hatten die beiden miteinander gestritten. Oder sie machte sich doch ihrer Mutter wegen Gedanken. Die würde den Kepler schon auch noch mögen lernen, wenn sie sah, wie sehr Carlotta ihn liebte! Immerhin war die ihr einziges Kind. Vorsichtig tunkte Lina einen Finger in das dampfende Wasser und zuckte zurück.
»Pass auf, Mädchen, dass du nichts kaputt machst. Zerbrochenes Geschirr bedeutet Streit im Haus. Oder klebst du die Scherben nachher mit teurem Zitronensaft zusammen, um uns davor zu bewahren?« Schnaufend watschelte Hedwig in die Küche und baute sich neben
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