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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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verständigen, steuerten sie geradewegs die Holzbrücke über den Neuen Pregel an. Der nahe Fischmarkt wehte seine Ausdünstungen herüber, darüber legten sich Ahnungen von süßlichem Malzgeruch. Kein Wunder: Der Löbenicht mit seinen vielen Brauereien war ebenfalls nicht mehr weit. Mehr und mehr lichteten sich die Reihen der Passanten, das Gedränge ließ nach. Bald konnten sie wieder ungestört nebeneinandergehen.
    Wohlgemut betraten sie die Lomse. Linden säumten den festgestampften Lehmweg und spendeten angenehmen Schatten. In vorderster Reihe der Pregelinsel, gleich bei der Brücke, erstreckten sich die riesigen Holzspeicher, dahinter schlossen sich Scheunen und Lagerhäuser an. Auf der Holzwiese reihten sich Gasthäuser mit gemütlichen Wirtsgärten aneinander. Zielsicher führte Christoph Carlotta einen schmalen Weg zum Lindengraben hinüber, wo sich die Schwedenschanze befand.
    Gelegentlich knackte es verräterisch in einem der dichten Gebüsche jenseits des Weges. Eine Krähe flatterte in die Luft und stieß empört ihr heiseres Krächzen aus. Gedämpfte Stimmen flüsterten nicht weit entfernt in einer dichten Hecke miteinander, ab und an erklang aufgeregtes Kichern. Christoph drückte verschwörerisch Carlottas Hand. Sie waren wohl nicht die Einzigen, die die frische Brise auf der Lomse auskosten wollten. Mit einem wohligen Prickeln im Bauch stapfte sie weiter. Bald erreichten sie den südlichen Teil, wo in den letzten Jahrzehnten auf den trockengelegten Flächen eine Vielzahl fruchtbarer Gärten entstanden waren. Selbst Ende Oktober zeigten sich die Blumenrabatten in geschützten Ecken und dank des guten Bodens noch in erstaunlicher Pracht.
    »Um diese Zeit sind solche Gewächse in Italien nicht mehr anzutreffen. Schließlich ist es rund ums Mittelmeer weitaus trockener und karger als hier bei uns.« Christoph wies auf das pralle Gemüse, insbesondere die weit ausladenden Kürbispflanzen rings um sie her. »Dafür habe ich mir dort frische Oliven, Pomeranzen und Zitronen gleich von den Bäumen gepflückt. Wenn ich das einem unserer Krämer auf dem Markt erzähle, wird er blass vor Neid.« Er streckte die Hand aus und brach eine Handvoll Brombeeren aus einer Hecke. »Koste einmal. Die haben die eifrigen Gärtner wohl vergessen. Sie schmecken noch immer wunderbar süß.«
    »Vielleicht für dich, der du dank der Pomeranzen und Zitronen an Saures gewohnt bist.« Carlotta spuckte die halbdürren Beeren aus. »Ich kann mir denken, warum die hängen geblieben sind: Die sind ungenießbar! Kein Mensch verträgt derart Saures. Sei mir nicht böse, aber zum Gärtner taugst du nicht, mein lieber Christoph.«
    »Dann lass dich überraschen, was ich dir jetzt zeige. Schließlich sind wir schon da.« Tief verbeugte er sich und wies mit dem Arm einladend auf eine Laube rechts des Weges, nicht weit vom Weidendamm entfernt. Angesehene Bürger Königsbergs hatten sich in diesem Teil der Pregelinsel behagliche Gärten als idyllische Rückzugsorte von dem Trubel der Stadt angelegt. Riesige, noch erstaunlich grüne Blätter der Kürbisse sowie grellrot leuchtende Bohnenranken bildeten die luftigen Dächer dieser Lauben. Sacht strich der Wind über das buntgefärbte Laub der Bäume auf den Wiesen ringsum. Über allem lag der süße Geruch überreifen Obstes. Das emsige Brummen unzähliger Hummeln und anderer Insekten verriet, wie beharrlich die Natur auch in diesem Teil der Stadt an den Resten des Sommers festhielt.
    Carlotta zögerte, den von einem morschen Zaun umgebenen Garten zu betreten. Sosehr sein idyllischer Anblick sie verzückte, so schreckte sie die lauschige Abgeschiedenheit auf einmal doch. Dort waren sie noch weiter von Gut und Böse entfernt als letztens im Gemeindegarten! Unerwartet sah sie Mathias vor sich, seine gierigen schwarzen Augen, sein heftiges Atmen, die widerlichen Bewegungen seines Leibes. Warum hatte der Offizier vorhin nur diese dunkle Erinnerung in ihr geweckt! Sie äugte zu Christoph. Noch immer stand der vierundzwanzigjährige, frisch promovierte Medicus reglos, leicht nach vorn gebeugt da. In seinem aschblonden Haar verfingen sich die Sonnenstrahlen, der Samt seines eleganten Rocks schimmerte. Den Spitzhut in der einen Hand vor dem Bauch, wies er mit der anderen weiterhin einladend zur Laube.
    Die weichen Linien in seinem Gesicht harmonierten mit jeder seiner Bewegungen. Von neuem überkam Carlotta ein warmes Kribbeln. Ohne ihn zu kennen, hatte Lina ihn richtig eingeschätzt: Das war nicht

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