Das Bernsteinerbe
offen Widerstand zu leisten.
Es dauerte nicht lang, da tauchten die in das Haus eingedrungenen Soldaten wieder auf der Straße auf, zwischen sich den grauhaarigen Hieronymus Roth. Den Hut hielt er in der Hand, auch den Mantel hatte er nicht zugeknöpft. Es dauerte nicht lang, bis ihm die Haare vom Schneeregen nass auf der Stirn klebten. Scheinbar reglos ertrug er das. Auch wehrte er sich nicht, als ihn die Soldaten grob zum ersten Rüstwagen zerrten und hinaufstießen. Ohne aufzuschauen oder gar zum Aufruhr gegen die Kurfürstlichen aufzurufen, nahm er neben dem Fuhrmann Platz. Ein weiteres Kommando erklang. Trotz der Enge wendeten die Dragoner geschickt ihre Pferde, die Wagen lösten sich aus der Verkeilung. Die Durchfahrt auf die Honigbrücke wurde freigegeben, der Zug mit den drei preußischen Bagagewagen und den Blauröcken setzte sich in Bewegung und verließ den Kneiphof über die Honigbrücke gen Osten.
Auf schmählichste Art wurde Hieronymus Roth vor den Augen seiner Mitstreiter am helllichten Tag als Gefangener des Kurfürsten abgeführt. Die Menschen in der Gasse und beim Honigtor blieben jedoch ruhig, blickten starr dem Abzug hinterher. Weder Schneeregen noch Sturm vermochten ihnen etwas anzuhaben, auch Roth blieb aufrecht, den Blick stur geradeaus auf das gerichtet, was ihn erwarten würde.
Schon erreichten die letzten Dragoner die Brücke, da löste sich einer von ihnen aus der Reihe und machte mit seinem Rappen kehrt. Die Menge wachte auf. Die Ersten murmelten einander unruhig etwas zu, andere ballten bereits die Fäuste. Trotzdem wagte niemand, dem Reiter offen entgegenzutreten.
Carlotta hielt den Atem an.
»Lass uns zu meinem Vater gehen«, schlug Christoph vor und fasste sie am Arm. Seine dunkle Stimme klang belegt. Ihm war nicht entgangen, was zwischen ihr und dem Reiter vorgegangen war. Verlegen räusperte er sich und fuhr mit krächzender Stimme fort: »Schließlich ist es noch nicht zu spät.«
»Gleich«, vertröstete sie ihn und löste sich von seiner Hand. Mit klopfendem Herzen sah sie dem näher kommenden Dragoner entgegen.
»Du kennst ihn also?«, fragte Christoph, der blass geworden war. Schon kam das schwarze Ross schnaubend vor ihnen zum Stehen. Einer Nebelwolke gleich stieg der Atem aus seinen Nüstern. Ungeduldig scharrte es mit den Hufen. Schneeflocken stoben durch die Luft, als es die Mähne schüttelte. Von oben schaute Mathias zu ihnen herab. Die Krempe seines braunen Filzhuts überschattete die Stirn, dennoch waren die schwarzen Augen und das hellhäutige Gesicht gut zu erkennen, der Unmut auf seinem Antlitz nicht misszuverstehen. Der dunkelblaue Rock stand ihm gut, ebenso kleideten ihn die roten Hosen und die hohen Lederstiefel bestens. Kein Zweifel: Er war zum preußischen Dragoner geboren.
»Was machst du bei den Preußen?«, rief Carlotta zu ihm hinauf. »Waren dir die Österreicher nicht mehr gut genug?«
»Ich hätte mir denken können, dich hier zu treffen«, entgegnete er statt einer Antwort. Kaum merklich zuckten die schmalen, blassen Lippen. Mit unverhohlener Verachtung in der Stimme fuhr er fort: »Wo es Krawall gibt, steckst du gleich mittendrin. Daran hat sich in den letzten Jahren also nichts geändert. Wer ist der Bursche an deiner Seite? Auch einer von den allseits hochgerühmten Königsberger Maulhelden? Die sind stets groß im Wortedreschen, ziehen aber den Schwanz ein, sobald es ans ehrliche Kämpfen geht. Glaub mir, das habe ich inzwischen mehrmals erfahren. Willst du mir also den tapferen Burschen an deiner Seite nicht vorstellen?«
Noch bevor Carlotta etwas erwidern konnte, nahm Christoph die versteckte Beleidigung zum Anlass, ihr herausfordernd den Arm um die Schultern zu legen und sie näher zu sich heranzuziehen. »Komm, meine Liebe«, flüsterte er ihr so laut ins Ohr, dass auch Mathias die Worte verstand. »Schließlich haben wir aufrechten Königsberger Bürger nichts mit den Kurfürstlichen zu tun. Lassen wir meinen Vater nicht unnötig warten. Es ist Zeit, ihm die Pläne für unsere gemeinsame Zukunft kundzutun. Allzu lang sollten wir mit dem Heiraten nicht warten.«
Schwungvoll zog er sie mit sich herum und wollte gehen. Dabei hielt er sie so fest umschlungen, dass ein Entkommen unmöglich war. Dennoch versuchte sie, sich von ihm zu befreien. An der Ecke des Nachbarhauses gab Christoph schließlich nach. Sie blickte noch einmal zurück. Nur wenige Schritt entfernt thronte Mathias kerzengerade auf dem stolzen Rappen. Übermütig spielte der
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