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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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einer Ecke liegend, weit und breit niemand, der ihr zu Hilfe kam. Oder halb von Sinnen umherirrend, weil sie einen Schlag auf den Kopf erhalten und das Gedächtnis verloren hatte. Nein, so durfte sie nicht denken! Einen Funken Hoffnung gab es noch. »Hat sie nicht doch irgendwem eine Andeutung gemacht, wohin sie wollte?«
    »Milla meint, sie hat die Wundarzttasche mitgenommen.« Der Ausdruck auf Hedwigs breitem, im dämmrigen Nachmittagslicht fahl wirkendem Gesicht machte aus ihrer Missbilligung keinen Hehl.
    »Die Wundarzttasche? Was wollte sie denn damit? Seit Vaters Tod hat sie kaum mehr als Wundärztin gearbeitet. Letztens hat sie doch selbst betont, keine mehr sein zu wollen. Hat etwa jemand nach ihr als Ärztin geschickt?«
    Bang musterte sie Hedwigs geliebtes Gesicht. Über dem Warten auf Antwort stieg eine neue, noch schlimmere Befürchtung in ihr auf. ›Ein Wundarzt muss immer helfen, ganz gleich, ob Freund oder Feind seiner Hilfe bedarf.‹ Als spreche sie die Worte selbst aus, hörte sie Magdalenas alte Grundüberzeugung in ihren Ohren widerhallen. Die Knie wurden ihr weich, ein Kloß schnürte ihr die Kehle zu. Auch wenn die Mutter ihr gegenüber letztens noch selbst behauptet hatte, sie beide wären längst von dieser Pflicht befreit: Im Ernstfall würde sie niemals zögern, ihre Hilfe anzubieten.
    »Hat sie mitbekommen, wie Friedrich Wilhelms Truppen in den Kneiphof eingefallen sind?«, bedrängte sie Hedwig. »Sie wollte doch wohl nicht zu Roths Haus in der Magistergasse, um den Verletzten beizustehen?«
    Wenn das stimmte, waren sie und die Mutter am Mittag nicht weit voneinander entfernt gewesen. Dabei sorgte sich Carlotta weniger darum, dass Magdalena sie an Christophs Seite gesehen haben könnte. Etwas viel Ärgeres musste geschehen sein: Auch sie hatte Mathias unter den Dragonern entdeckt! Carlotta tastete nach einem der Stühle vor dem Tisch und ließ sich rücklings darauf nieder. Sie barg den Kopf in den Armen. Gewiss war Mathias ihr zuvorgekommen und hatte aus reiner Boshaftigkeit Magdalena brühwarm Christophs Worte über die Heiratspläne entgegengeschleudert, ihr zudem von dem geplanten Gang zum alten Kepler berichtet. Nun war alles vorbei. Nie und nimmer würde die Mutter sich jetzt noch einverstanden erklären, dass sie den jungen Medicus nicht nur heiratete, sondern auch mit ihm gemeinsam die Heilkunst studierte. Nicht, weil sie sich grundsätzlich gegen die Verbindung stemmte oder nicht wollte, dass Carlotta noch mehr dazulernte. Viel schlimmer würde für sie wiegen, dass Carlotta und Christoph mit ihren Plänen nicht zuerst zu ihr, sondern zum alten Kepler gehen wollten.
    »Weißt du, wer dort gewesen ist, Hedwig?«, fragte sie heiser, ohne den Kopf zu heben. »Weißt du, wen ich vor Roths Haus gesehen habe?«
    »Dass du mitten in dem Gewühl gewesen bist, habe ich mir gleich gedacht«, knurrte Hedwig unwirsch. »Der junge Kepler hat dich also wieder einmal in all das hineingezogen. Pass nur gut auf, mein Kind, sonst nimmt es noch ein böses Ende.«
    Hedwigs kleine Augen starrten auf das Gemälde des altehrwürdigen Ahns Paul Joseph Singeknecht an der rückwärtigen Wand. Streng blickte der von seinem angestammten Platz oberhalb der riesigen Truhe in die düstere Wohnstube. Nervös fuhr sie sich mit den Händen über die Unterarme, schob den Stoff ihres braunen Kleides bis zu den Ellbogen hoch. Endlich rang sie sich zu weiteren Auskünften durch: »Ein Bursche ist am Vormittag bei uns aufgetaucht und hat deine Mutter gerufen. Niemand von den Schreibern weiß angeblich, wer ihn geschickt hat. Egloff behauptet sogar steif und fest, sie wäre wie jeden Morgen zur Lastadie hinübergelaufen.«
    »Wie denn?« Carlottas Stimme überschlug sich. Sie sprang so heftig vom Stuhl auf, dass er nach hinten kippte. »Auf der Krämerbrücke war doch gar kein Durchkommen mehr. Alle haben versucht, aus dem Kneiphof herauszukommen. Die Schmiedebrücke war abgeriegelt. Und was soll sie außerdem bei den Lagerhäusern gewollt haben – noch dazu mit der Wundarzttasche. Gewiss hat sie dort keinen verletzten Ablader behandelt. Wundarzt Koese hat ihr letztens sehr deutlich gemacht, dass niemand am Hundegatt sie dort als Wundärztin zu sehen wünscht. Ist Steutner eigentlich schon zurück?«
    In all der Aufregung fiel ihr das Nächstliegende erst jetzt wieder ein.
    »Steutner? War der denn noch einmal fort?« Jetzt war es an Hedwig, erstaunt zu sein.
    »Hast du das etwa nicht mitbekommen?« Carlotta

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